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Wenn Patente mit der Ethik kollidieren

Person: Der Patentrechtler: Philippe Baechtold ist Leiter des Rechtsdienstes Patente im Eidg. Institut für Geistiges Eigentum. Er befasst sich daher auch mit allen patentrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Gen-Schutz-Initiative. Baechtold ist Fürsprecher und seit knapp vier Jahren Leiter des Rechtsdienstes. Im Institut selbst arbeitet er seit acht Jahren.

Bieler Tagblatt: Zwei Personen kommen zu Ihnen: Einer will die ultimative Espresso-Maschine patentieren lassen, ein anderer eine transgene Maus. Spüren Sie emotional einen Unterschied, wenn Sie diese beiden Anträge bearbeiten?

Philippe Baechtold: Wenn Erfindungen kommen, welche die belebte Natur betreffen, ist man auf jeden Fall sehr vorsichtig, namentlich was die Ausschlussgründe betrifft. Ich persönlich teile mit anderen eine gewisse Betroffenheit gegenüber der Gentechnik als solcher, aber nicht unbedingt gegenüber den Rechten an gentechnischen Erfindungen.

BT: Warum nicht gegenüber Patenten?

Baechtold: Das Patent soll nur die Früchte einer Leistung schützen. Ein Patent ist ein Ausschliesslichkeitsrecht und kein Eigentumsrecht. Es erlaubt lediglich, Dritte von der Verwertung einer Erfindung für einen gewissen Zeitraum auszuschliessen. Es bedeutet nicht, dass ich eine Erfindung auch tatsächlich benutzen darf.

BT: Wann geben sie ein Patent auf Leben?

Baechtold: Ich halte es für eine grosse Täuschung des Publikums, wenn man von „Patenten auf Leben“ spricht. Die Täuschung besteht darin, dass eine Erfindung - d.h. eine technische Lösung für ein technisches Problem - patentiert wird und nicht ein Lebewesen. Schafft man es beispielsweise mittels Gentechnik, dass eine Pflanze gegen einen bestimmten Schädling resistent wird, bezieht sich das Patent auf diese Schädlingsresistenz und nicht eigentlich auf die Pflanze.

BT: Also wird die Pflanze indirekt patentiert...

Baechtold: Die Patentierung bedeutet, dass ein Dritter nicht dieselbe Pflanze mit dieser ganz bestimmten Resistenz herstellen darf. Ich muss hier anfügen, dass die ganze Frage der Patentierung nur eine Folge der Gentechnologie ist. Eine Patentanmeldung kann nur gemacht werden, wenn vorgängig eine Erfindung vorliegt. Wenn also jemand ein Patent anmeldet,, ist der gentechnische Eingriff bereits passiert.

BT: Spielen ethische Erwägungen bei der Erteilung von Patenten eine Rolle?

Baechtold: Das Patentrecht sieht solche Erwägungen natürlich vor. Erfindungen, die gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung verstossen, dürfen nicht patentiert werden. wäre beispielsweise das Schwein mit menschlichen Wachstumshormongenen, das dadurch schwer körperlich leidet. Ein solcher Patentantrag würde bei uns auf schwerste Bedenken stossen. Zudem gilt, dass auch nach der Erteilung von Patenten mit Hinweis auf ethische Überlegungen ein Patent vor Gericht angefochten werden.

BT: Inwiefern sind gentechnischen Eingriffe überhaupt eine Erfindung?

Baechtold: Klar ist: Entdeckungen dürfen nicht patentiert werden. Damit gilt beispielsweise für das Human Genome Projekt (die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts, die Red.), dass die dort gefundenen Gene nicht patentiert werden dürfen.

BT: Aber ist es nicht so, dass US-Firmen bereits solche Gene zur Patentierung angemeldet haben?

Baechtold: Alle die Patentanträge wurden auch in den USA zurückgewiesen. Die Sachlage ändert sich, wenn man eine Entdeckung in einen erfinderischen Kontext stellen kann. Wenn man ein gefundenes Gen isolieren kann und es beispielsweise so in in einen Mikroorganismus einbauen kann, dass schliesslich ein Medikament erzeugt werden kann, kann man dies patentieren. Dabei muss zudem gezeigt werden, dass dieses Verfahren von einem dritten wiederholt werden kann.

BT: Welche Besitzansprüche kann man aus einem Patent anmelden?

Baechtold: Viele verwechseln dies, doch um es zu wiederholen: Ein Patentrecht ist kein Eigentumsrecht. Dies ändert sehr viel an der ganzen Problematik, denn es ist die allgemeine Rechtsordnung, die entscheidet, ob eine Erfindung auch gebraucht werden darf. Man kann also ein Medikament zwar patentieren. Ob es verkauft werden darf, entscheidet die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel. Umgekehrt bedeutet eine Aufhebung des Patentschutzes lediglich, dass künftig jeder die entsprechende Erfindung gebrauchen darf. Insofern bieten Patente auch eine gewissen Kontrollmöglichkeit im Bereich Gentechnologie. Man weiss zumindest, wer ein bestimmtes Verfahren anwenden darf.

BT: Der Patentschutz bei Lebewesen wird aber „vererbt“...?

Baechtold: Das ist richtig. Beispielsweise die Nachkommen einer durch ein Patent geschützten transgenen Maus unterliegen ebenfalls dem Patent. Vorausgesetzt natürlich, sie haben immer noch die Eigenschaft, welche das Patent ausmacht.

BT: Werden bei Ihnen viele Patente betreffend Lebewesen ausgestellt?

Baechtold: Wir haben nur gut 20 Anmeldungen, wobei noch 14 Patente in Kraft sind. Die meisten Patente werden im Europäischen Patentamt eingereicht, denn man will für Erfindungen im Gentech-Bereich europaweiten, wenn nicht weltweiten Schutz. Auf europäischer Ebene gibt es aber Tausende von Patentanmeldungen.

BT: Werden auf europäischer Ebene ähnliche Kriterien bei der Patenterteilung wie in der Schweiz angewendet?

Baechtold: Die Schweiz ist dem europäischen Patentübereinkommen beigetreten und hat damit sehr ähnliche Kriterien wie die anderen europäischen Länder. Die Amerikaner sind aber liberaler als Europa.

BT: Was passiert bei einer Annahme der Gen-Schutz-Initiative mit diesem Abkommen?

Baechtold: Die Schweiz wäre sicher in einigen Punkten nicht mehr kompatibel sowohl mit dem europäischen als auch mit dem WTO/TRIPS-Abkommen (siehe Kasten). Letzteres erlaubt zwar, dass Pflanzen und Tiere von der Patentierung ausgeschlossen werden, nicht aber den Ausschluss von Verfahren, was die Initiative ebenfalls verbietet. Somit könnte niemand mehr in der Schweiz Patentschutz für Erfindungen betreffend Organismen einfordern. Die Schweiz müsste dann versuchen, entsprechende Ausnahmeregelungen zu erreichen. Ob das von den anderen Vertragsstaaten akzeptiert würde, ist offen.

BT: Wenn nun die Schweiz ein „patentfreies“ Land wäre, dann könnten Biotech-Firmen hier Produkte anderer Firmen ungestraft kopieren. Gäbe das nicht neue Arbeitsplätze?

Baechtold: Ein interessanter Gedanke, doch so einfach ist die Sache nicht. Die Schweiz würde dann international als Nachahmerstaat gelten und müsste dann wohl mit massivem Druck von aussen rechnen.

BT: Von Wissenschaftlern wird die Patentierung aber skeptisch betrachtet. Will man ein Patent anmelden, so darf man nichts über seine Idee sagen. Wird da nicht der wissenschaftliche Informationsaustausch behindert?

Baechtold: Diese „Schweigepflicht“ gilt nur so lange, bis das Patent angemeldet ist. Eine solche Anmeldung ist innert Tagen machbar, so dass der Informationsaustausch nicht wesentlich behindert werden sollte. Zudem ist ein Forscher ja nicht verpflichtet, seine Innovation mit einem Patent zu schützen. Wird auf eine solche trotzdem ein Patent erhoben, so sieht das Patentrecht Ausnahmen für die Forschung vor. Hat also ein Forscher beispielsweise ein Patent für ein wichtiges neues Laborverfahren erhalten, können andere Wissenschaftler weiterhin damit arbeiten, sofern dies nur zu Forschungszwecken geschieht. Ich halte also das Argument der Behinderung der Forschungsfreiheit nicht für schlagend.

BT: Wenn nun ein Patent auf eine sehr wichtige Erfindung - beispielsweise ein Impfstoff für Aids - erhoben wird und die betreffende Firma nicht so viel Produzieren kann, wie gebraucht wird, ist das nicht eine unhaltbare Situation?

Baechtold: In solchen Fällen sieht das Patentrecht eine Zwangslizenz vor. Der Patentinhaber kann also von einem Gericht verpflichtet werden, für andere Firmen Lizenzen zur Verfügung zu stellen. Der Patentinhaber verdient zwar Geld, kann aber in solchen Fällen nicht verhindern, dass auch andere seine Erfindung nutzen. In der Praxis treten aber solche Fälle sehr selten auf.

BT: Wie sieht es eigentlich generell mit dem Problem Patente und Prozesse auf: Patente müssen ja notfalls durch langwierige Prozesse verteidigt werden. Besteht da nicht die Gefahr, dass sich nur grosse Konzerne Patente leisten können?

Baechtold: Diese Gefahr besteht vermutlich. Andererseits kommt die überwiegende Mehrheit von Patenten von kleinen und mittleren Unternehmen. Patente schützen eben auch die Innovationen kleiner Firmen.

BT: Eine weitere Diskussion betrifft die ganze Problematik Dritte Welt. So wird etwa argumentiert, Patente erlauben es den Bauern der Dritten Welt nicht mehr, teure „veredelte“ Sorten zu kaufen, für die sie bei jeder Aussaat neu zahlen müssten. Dadurch werde die Kluft zwischen Nord und Süd tiefer.

Baechtold: Die Problematik Dritte Welt berührt eine ganze Reihe von Fragen. Hier möchte ich zu Beginn sagen, dass die Gen-Schutz-Initiative - bzw. das Patentierungsverbot - an diesen Problemen nichts ändert. Das Patentrecht ist eine rein nationale Angelegenheit. Weiter ist richtig, dass das Patentrecht die Landwirteprivilegien - d.h. die Erlaubnis, dass man beispielsweise die Ernte einer neuen Sorte Getreide selbst wieder aussäen darf - nicht kennt. Damit sind Probleme verbunden, auch für die Bauern hier. Man kann natürlich sagen, dass niemand verpflichtet ist, eine solche patentierte Sorte anzusäen. Andererseits hat man in der EU das Problem offenbar erkannt und man plant, Landwirteprivilegien in das Patentrecht einzubauen. Wenn dies geschehen wird, wird dies wohl auch im Schweizer Recht umgesetzt.

BT: Wie beurteilen sie generell die Diskussion um die Patentierung im Zusammenhang mit der Gen-Schutz-Initiative?

Baechtold: Man diskutiert oft über das falsche. Das Patentverbot ist nicht der richtige Ansatz, um Missbräuche und Gefahren der Gentechnologie zu bekämpfen. Ich halte es für richtig, bestimmte Anwendungen der Gentechnik zu verbieten. Damit ist automatisch auch klar, dass Patentierungen in diesem Bereich verboten sind. Wenn ein Tier beispielsweise durch einen genetischen Eingriff schwer leiden muss, ist dieser Eingriff das moralische Problem und nicht eine allfällige Patentierung, die erst nachträglich geschieht.

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