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Halbiert eine neue Energiepolitik die Arbeitslosigkeit?

Arbeitslosigkeit ist ein weltweit drückendes Problem. Auch ist bekannt, dass mit der derzeitigen Energienutzung eine Reihe von Schwierigkeiten verbunden sind. Beide Fragen können aber gemeinsam fokussiert werden. Dafür plädiert der Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker anlässlich der Verleihung des Schweizer Solarpreises 1997 in Biel.

Wenn die Vertreter einer neuen Energiepolitik sich beispielsweise für Lenkungsabgaben stark machen und fossile Energieträger belasten wollen, begegnen sie einem Standardvorwurf: was passiert mit den Arbeitsplätzen energieintensiver Industrien. Oder auch: Wollt ihr etwa unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährden? Die in den letzten Jahren stark gewachsene Angst vor Arbeitslosigkeit wird damit als ein wirksames Instrument gegen Innovationen eingesetzt.

Eine schlaue Strategie besteht nun darin, einen positiven Zusammenhang zwischen Schaffung von Arbeitsplätzen einerseits und der Änderung der Energiepolitik andererseits zu behaupten. Kann die Arbeitslosigkeit durch Propagierung von Energie-Effizienz und erneuerbaren Energien gar halbiert werden? Diesen provokativen Titel setzte die schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie für eine Studie, die derzeit vom deutschen Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker verfasst wird und Anfang 1998 veröffentlicht werden soll. Der Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie und das Mitglied des Club of Rome hat anlässlich der gestrigen Verleihung des Schweizer Solarpreises 1997 in Biel einen Einblick in die Stossrichtung der Studie gegeben. Auf genaue Zahlen wollte er sich jedoch noch nicht festlegen, denn die Prognose, mit welchen Änderungen in der Energiepolitik wieviele Arbeitsplätze geschaffen werden können, erweist sich als ausserordentlich schwierig.

Wie Jobs vernichtet werden

Von Weizsäckers Überlegungen weisen jedoch klar darauf hin, dass der Arbeitsmarkt von einer neuen Energiepolitik profitieren wird: Die heutige Arbeitslosigkeit ist eng mit der starken Verbesserung der Arbeits-Produktivität verknüpft. Weniger Arbeiter können mehr Produkte herstellen. Da nun deren Markt nicht unbegrenzt wachsen kann, bedeutet jede Produktivitätsverbesserung einer Firma in einer Branche für diese einen Abbau der Arbeitsplätze, meint von Weizsäcker. Das Dilemma besteht nun darin, dass den Betrieben gar nichts anderes übrig bleibt, ihre Arbeits-Produktivität zu erhöhen, wollen sie konkurrenzfähig bleiben. Das ist die eine Seite des Problems.

Das Energieproblem seinerseits ist altbekannt: Die Welt braucht übermässig viele fossile Energieträger und wird dies auf absehbare Zeit weiter tun. Laut der internationalen Energieagentur wird der Weltenergiebedarf zwischen 1993 und 2010 um voraussichtlich 34 bis 46 Prozent steigen. Dies bedeutet einerseits einen Raubbau an Ressourcen und damit zwangsläufig den mitelfristig stärkeren Einsatz erneuerbarer Energien. Daran zweifelt nicht einmal ein Öl-Multi wie Shell, der für das Jahr 2050 einen 50-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien an der Welt-Energieversorgung prognostiziert. Andererseits gehen mit der Energienutzung eine Reihe von Umweltproblemen einher: Die Zerstörung von Lebensgrundlagen durch Verschmutzung und der verstärkte Ausstoss von Kohlendioxyd mit unabsehbaren Folgen für das Klima. Man muss also einen Mechanismus finden, der den Energiehunger der Welt zwar befriedigt, den Verbrauch an nichterneuerbaren Energieträgern aber abnehmen lässt.

Ein fairer Markt schaffen

Heutzutage ist klar, dass der tiefe Preis von Energieträgern wie Erdöl oder Kohle massgeblich zum massiven Wachstum des Energieverbrauchs beiträgt. Dazu kommt die Quersubventionierung, beispielsweise von Kernkraft durch Wasserkraft in der Schweiz, und schliesslich auch das Faktum, dass die externen Kosten der Energienutzung im Preis der Energie nicht enthalten ist. Dies verzerrt den Markt zuungunsten neuer Energieträger, wie etwa auch die Vereinigung Swissolar festhält. Es gilt nun, mit Staatseingriffen wie beispielsweise Lenkungsabgaben reguläre Marktbedingungen zu schaffen.

Für die Schaffung von Arbeitsplätzen hat dies zweierlei Auswirkungen. Teurere Energie führt zu einer Verbesserung der Energie-Produktivität. Dies bedeutet eine gewaltige Innovationsleistung und damit auch die Gründung neuer Betriebe und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dazu kommt das Arbeitsplatz-Potential, das in der Entwicklung neuer Energienalagen selbst steckt. In einer (doch eher) provisorischen Untersuchung rechnet Swissolar damit, dass pro Jahr durch Lenkungsabgaben über eine Milliarde Franken für die Förderung der Energie-Effizienz und für neue Energien zur Verfügung stehen. Damit könnten über 80'000 Arbeitsplätze in diesen Bereichen geschaffen werden, so Swissolar.

Eine neue Energiepolitik ändert gemäss von Weizsäcker aber auch die Rentabilitätsbedingungen. Konkret bedeutet das, dass sich mit einer verbesserten Energie-Produktivität auch mehr Gewinne erwirtschaften lassen. Investitionskapital fliesst damit vermehrt in diesen Bereich und steht nicht mehr für eine Verbesserung der Arbeits-Produktivität zur Verfügung. Damit könnte ein wesentlicher Trend, der zur Arbeitsplatzvernichtung führt, abgebremst werden, meint von Weizsäcker. Die Schaffung einer neuen Zukunft für Energie und Arbeit gleichermassen bedingt aber eine neue Energiepolitik.

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