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Mars, Gaia, und der Kampf des Lebens ums Klima

Bieler Tagblatt: Die Hinweise verdichten sich: Der Mars hatte einst flüssiges Wasser und ein Klima, das dem unseren nicht unähnlich war. Was ist mit dem Mars passiert?

Helmut Weissert: Die klassische Antwort ist sicher: der Mars hat mit seiner Position und seiner Grösse im Sonnensystem Pech gehabt. Er war zu weit weg von der Sonne und konnte demnach ein stabiles Klima, das flüssiges Wasser erlaubt, auf die Dauer nicht aufrechterhalten.

BT: Doch am Anfang hatte es offenbar geklappt?

Weissert: Aufgrund der vorliegenden Daten kann man dies annehmen. Wichtig ist diese Feststellung natürlich auch für die Frage, ob es einst Lebensformen auf dem Mars gegeben hat. Kann man dies mit Ja beantworten, stellen sich zwei Varianten, warum der Mars „gescheitert“ ist: Entweder waren es tatsächlich die physikalischen Randbedingungen, die Leben und das dazu nötige Klima auf die Dauer nicht zuliessen. Oder das Leben selbst hat es nicht geschafft, derart ins Klimasystem einzugreifen, um für eine nötige Stabilisierung zu sorgen.

BT: Sie spielen also auf die Gaia-Hypothese an (vgl. auch mit untenstehenden Artikel)?

Weissert: Ja. Diese besagt kurz, dass sich das Leben Bedingungen schafft, die zu seiner Erhaltung beitragen. Gaia ist eine sehr organische Hypothese und beileibe nicht bei allen Wissenschaftlern akzeptiert. Ich halte diese Hypothese für sehr spannend und auch einleuchtend.

BT: Wenn es also einst Lebensformen auf dem Mars gehabt hat, stellt sich die Frage, warum Gaia dort nicht funktioniert hat. Ist der Mars ein Test für die Gaia-Hypothese?

Weissert: Das könnte man so sehen. Andererseits lassen sich auf Fragen stellen wie: Was braucht es, damit ein Gaia-System überhaupt in Gang kommt? Oder auch: Welche Ereignisse können ein Gaia-System zum Zusammenbruch bringen? Beispiele wären ein schwerwiegender Meteoriteneinschlag oder massive Vulkantätigkeit. Vielleicht haben auch derartige Katastrophen das Klima auf dem Mars kippen lassen und damit das dortige Leben vernichtet.

BT: Kehren wir auf die Erde zurück: Was ist der wesentliche Faktor, der das Klima auf der Erde bestimmt.

Weissert: Die heute vorliegenden Daten sind diesbezüglich eindeutig: Der Gehalt an Kohlendioxyd in der Atmosphäre ist der entscheidende Faktor für das Klima auf der Erde. Dieser Gehalt wurde vor allem in der Frühgeschichte der Erde wesentlich vom Vulkanismus auf der Erde bestimmt.

BT: Welche grossen Klimaereignisse hat unser Planet bisher erlebt?

Weissert: Zum ersten sind die gravierenden Änderungen in unserer Atmosphäre zu nennen. So zum Beispiel das Aufkommen einer Sauerstoffatmosphäre vor über zwei Milliarden Jahren und auch der Abfall des CO2-Gehalts. Beide Vorgänge sind entscheidend durch das Leben moduliert worden. Der enge Zusammenhang zwischen Leben und Klima zeigt sich auch, als vor etwa 400 Millionen Jahre die Pflanzen die Kontinente besiedelt haben. Durch den Aufbau von Biomasse und der Verwitterung von Felsen in die heutigen Boeden wurden grosse Mengen CO2 gebunden. Dies hat eine Kaltzeit eingeläutet.

BT: Sind in Zukunft drastische Klimaänderungen zu erwarten, die zu einem völligen Zusammenbruch der heutigen Verhältnisse führen?

Weissert: Der Einschlag grosser Meteoriten könnte zu einer solchen Katastrophe führen. Derartige Ereignisse sind aber sehr unwahrscheinlich und für die heutige Diskussion sicher nicht wichtig.

BT: Das ist richtig. Heute reden wir vom durch den Menschen angeheizten Treibhauseffekt und von Zeiträumen von Jahrzehnten bis Jahrhunderten. Inwieweit gibt es für diese Diskussion überhaupt gesicherte Erkenntnis.

Weissert: Ich kann es nur wiederholen: Änderungen des CO2-Gehalts der Atmosphäre haben Änderungen des Klimas zur Folge. Dies kann man heute nicht bestreiten.

BT: Aber betrachtet man das Klima der vergangenen Jahrtausende, so hat es sich ja immer geändert. Es gab die mittelalterliche Warmzeit in Europa, die „kleine Eiszeit“ vom 16. bis 18. Jahrhundert. Warum problematisiert man den jetzigen Wandel?

Weissert: Der Clou ist folgender: Zum einen haben schon die minimen Änderungen des CO2-Gehalts in den letzten Jahrtausenden das Klima so beeinflusst, dass die menschliche Zivilisation stark davon betroffen wurde. Jetzt steigt der CO2-Gehalt weitaus dramatischer an. Entsprechend ist der zu erwartende Einfluss auf das Klima weit stärker. Ausserdem lassen die Daten aus der früheren Klimageschichte den Schluss zu, dass das Klima bei einem höheren CO2-Gehalt der Atmosphäre weit unstabiler ist als jetzt. Wir hatten in den vergangenen Jahrtausenden ein verhältnismässig sehr stabiles Klima, mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf die Entwicklung der menschlichen Zivilisation.

BT: Was in Zukunft genau passieren wird, ist aber offen?

Weissert: Es gibt tatsächlich eine unermessliche Vielfalt an Kreisläufen und Rückkopplungen, die durch Klimaänderungen beeinflusst werden. Entsprechend unsicher sind Prognosen, was im Einzelnen passieren wird. Tatsache bleibt: Der CO2-Gehalt steigt dramatisch. es ist zu erwarten, dass ein Niveau erreicht wird, das letztmals vor 16 Millionen Jahren geherrscht hat.

BT: Könnten wir demnach die Erde in Richtung Mars oder auch Venus steuern?

Weissert: Kaum. Der Einfluss auf Kultur und Zivilisation wäre vorher schon so gravierend, dass der Einfluss des Menschen automatisch aufhören würde. Wir können die Erde für uns ungemütlich machen, nicht aber für das Leben.

BT: Könnte die Menschheit auch bewusst ins Klimasystem eingreifen und dieses zu ihren Gunsten beeinflussen?

Weissert: Ein wahrlich faustischer Plan. Meiner Meinung nach ist dies utopisch. Das Klimasystem reagiert nicht linear und man kann nicht an gewissen Parametern „herumschrauben“, um dann dieses oder jenes Ergebnis zu erreichen.

BT: Wäre denn das „faustische Projekt“ auf dem Mars denkbar? Könnten wir dem Mars dereinst wieder ein Klima geben, das Leben auf diesem Planeten ermöglicht?

Weissert: Daran glaube ich nicht. Überdies: bevor wir den Mars wieder für das Leben gewinnen, sollten wir dafür sorgen, dass wir die Erde nicht für unser Leben verlieren.

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