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Rechte für Patienten bedeuten auch Pflichten für Patienten

Rechte sollen dem Schutz für Schwächere dienen. Gerade kranke Menschen sind demnach Gegenstand der Rechtssprechung. In jüngster Zeit sind Patientenrechte in der Medizinethik zu einem wichtigen Thema geworden, die zur Veröffentlichung einer Reihe von Erklärungen geführt haben – so der „Tutsinger Erklärung“ und der „Schweizer Patienten-Charta“. Im Kanton Zürich schliesslich ist im Januar das bisher umfassendste Patientengesetz der Schweiz in Kraft getreten. Dieses macht deutlich, welche Möglichkeiten der Konkretisierung von Patientenrechten bestehen und dass Patientenrechte auch Patientenpflichten beinhalten.

Erklärungen zu Patientenrechten können sich auf den generellen Konsens stützen, dass kranke Menschen besonders schutzbedürftig sind. Im Alltag jedoch ist Krankheit etwas, das natürlich vermieden werden will – und auch dem Kontakt mit Kranken wird oft ausgewichen und diese werden an die professionellen Strukturen des Gesundheitswesens überwiesen. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass die Schweizer Patienten-Charta mit der grundsätzlichen Bemerkung beginnt: „Patientinnen und Patienten dürfen auf Grund des Verdachtes oder des Vorliegens einer Krankheit oder einer Veranlagung nicht diskriminiert werden.“ In diesem Satz widerspiegelt sich, dass Erklärungen zu Patientenrechten oft weit mehr umfassen als den Umgang mit Patienten innerhalb des Gesundheitswesens. Es geht um die Stellung der Patienten in der Gesellschaft – also etwa um die Frage der Chancen eines HIV-Positiven auf dem Arbeitsmarkt.

Patientenrechte als Mitwirkungsrechte

Erklärungen zu Patientenrechten sind deshalb Absichtserklärungen, die nicht nur das Gesundheitssystems selbst betreffen. Ein Beispiel ist die im Februar vergangenen Jahres veröffentlichte „Tutsinger Erklärung“ der evangelischen Akademie Tutsing. In dieser werden Patientenrechte auch als Rechte zur Mitwirkung bei der Ausgestaltung des Gesundheitssystems verstanden. Dies mag – aus Schweizer Sicht – einerseits auf den Unterschied im Demokratiesystem zurückzuführen sein, kennt doch Deutschland eine repräsentative und keine direkte Demokratie. Andererseits wird darin auch ausgedrückt, dass der Staat verpflichtet werden solle, Selbsthilfeorganisationen und Bürgerinitiativen von Patienten zu unterstützen, damit diese gewissermassen als „Stimme des Patienten“ im politischen Entscheidungsprozess mitwirken können. Vergleichbare Forderungen gibt es auch in der Schweiz, etwa anlässlich der Präsentation einer Studie über die Bedeutung von Selbsthilfeorganisationen für die Gesundheitsvorsorge. Begründet werden solche Forderungen mit der finanziellen Entlastung des Gesundheitssystems durch die Aktivitäten solcher Selbsthilfegruppen – was aber nicht einfach quantifiziert werden kann.

Manifeste zu Patientenrechte, wie die genannte „Tutsinger Erklärung“ und die „Schweizer Patienten Charta“, beinhalten aber auch die Forderung nach umfassender Information der Patientinnen und Patienten und nach Qualitätskontrollen im Gesundheitswesen. Letztere listet gleich 26 Patientenrechte auf. Eine Reihe dieser Rechte werden sicherlich in Konflikt mit der Forderung nach Kostensenkung im Gesundheitswesen geraten. Beispiele sind das „Recht auf freie Arztwahl“ (die Krankenkassen wollen bekanntlich den Kontrahierungszwang aufheben), das „Recht auf Zugang auf medizinische Innovationen“ unabhängig von finanziellen Überlegungen und das „Recht auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen“, welche einen umfassenden Leistungskatalog in der Grundversicherung fordert. Solche Elemente machen auf die Gefahr deutlich, dass Patientenrechte auch für politische Debatten instrumentalisiert werden können, indem sie umstrittenen Punkten quasi einen unangreifbaren „Rechtscharakter“ verleihen wollen. Andererseits wird in solchen Erklärungen auch deutlich, dass Patientenrechte eben nicht nur isoliert betrachtet werden können. Sie haben in der Tat etwas mit der Rolle zu tun, welchen man Patienten in einer Gesellschaft zuweisen will. Gerade das Diskriminierungsverbot ist ein wichtiges Beispiel. Die Schweizer Patienten-Charta erkennt hier denn auch, dass Rechte mit Pflichten einher gehen. So wird eine „Pflicht zur Information und Rücksicht“ formuliert, wonach Beschränkungen des Diskriminierungsverbotes angezeigt sind, wenn die Allgemeinheit durch die Berufsausübung gefährdet wird. Das persönliche Umfeld eines Patienten muss durch diesen über mögliche Gefährdungen informiert werden.

Patientenrechte in der Praxis

Wie sehen nun Patientenrechte in der Praxis aus? Der Kanton Zürich hat hier, zumindest für die Schweiz, Pionierarbeit geleistet und das bisher umfassendste Patientengesetz im Januar dieses Jahres in Kraft gesetzt. Zentrale Neuerungen sind die Aufklärung von Patientinnen und Patienten vor einer Operation, klare rechtliche Schranken bei Zwangsmassnahmen, Bestimmungen über die Betreuung und Behandlung Sterbender sowie über Obduktionen und Transplantationen (vgl. auch mit dem Interview auf Seite XXX).

Es zeigen sich eine Reihe von Unterschiede beim Vergleich des Patientengesetzes mit den oben genannten Erklärungen zu den Patientenrechten. Zum einen ist der Gegenstand des Gesetzes der Patient innerhalb der Institutionen des Gesundheitswesens und nicht der Patient in der Gesellschaft. Die Rechte über Aufklärung und Information sprechen von einer „angemessenen“ und nicht einer „umfassenden“ Aufklärung. Gemeint ist damit, wie der Kantonalen Weisung zum Patientengesetz entnommen werden kann, dass eine Aufklärung keine für die Gesundheit schädlichen Angstzustände hervorrufen darf. Dies zu Beurteilen ist Sache des Arztes, das so genannte „therapeutische Privileg“. Wünscht der Patient aber ausdrücklich eine umfassende Information, so muss diese gewährleistet werden. Auch ein „Recht auf Nichtwissen“ wird explizit festgehalten. In diesem Fall muss der Patient aber mit seiner Unterschrift bezeugen, dass er oder sie nicht informiert zu werden wünscht.

Diese Regelung der Informationspflicht ist sicher eine der wichtigsten Errungenschaften der Patientenrechtsbewegung überhaupt. Internationale Forschungen auf dem Gebiet der medizinischen Soziologie haben eindrucksvoll belegt, dass kein Aspekt der Arzt-Patienten-Beziehung so stark beklagt worden ist wie derjenige mangelnder Kommunikation. Patientinnen und Patienten fanden im Klinikalltag wenig Gelegenheit, ihre Informationsbedürfnisse zu artikulieren, erhalten zu wenig und zu wenig verständliche Information. Dies beeinträchtigt die Bewältigung der Krankheit und die Therapietreue (Compliance).

Gerade in dieser Hinsicht formuliert das Gesetz auch Pflichten von Patientinnen und Patienten. Diese müssen den Fachpersonen die für eine Behandlung notwendigen Auskünfte geben, sich an die Weisungen des Personals hinsichtlich der Behandlung halten und auf andere Patienten Rücksicht nehmen. Eine Behandlung kann (durch urteilsfähige Patienten) jederzeit abgebrochen werden – auch gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat. In diesem Fall müssen die Patienten aber mit ihrer Unterschrift bestätigen, dass sie einen Abbruch der Behandlung wünschen.

Insgesamt gesehen hat das Zürcher Patientinnen- und Patientengesetz natürlich keine grundlegend neue Rechtssprechung eingeführt. Viele der Gesetzesartikel waren bereits zuvor auf Verordnungsebene geregelt. Hingegen liefert das neue Patientengesetz eine Gesamtschau dessen, was auf der Ebene der Patientenrechte heute machbar und möglich ist. Die eher allgemein gehaltenen Erklärungen zu Patientenrechten wiederum sind eher Argumentarien im Hinblick auf eine weiterführende Regulierung des Gesundheitswesens.

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