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Ein ethischer Rahmen für Kostenkontrolle im Gesundheitswesen

Kostenbetrachtungen werden in öffentlichen Diskussionen oft als Gegenpol zur ethischen Perspektive auf ein bestimmtes Problem angesehen. Will man demnach thematisieren, in welchem ethischen Rahmen eine Kostenkontrolle stattfinden kann, sollte zunächst einmal untersucht werden, ob diese polarisierende Gegenüberstellung von wirtschaftlichen und ethischen Betrachtungen überhaupt dem Problem angemessen ist und welche Funktion sie in der öffentlichen Diskussion hat. Denn es fällt auf, welch einfache Bilder von „Kosten“, „Sparen“ und Ethik“ in der Debatte oft bemüht werden, um eigene Standpunkte zu schärfen und gegnerische zu untergraben.

Nachfolgend soll die Analyse auf einer abstrakten Ebene geschehen. Wir sprechen von einem Gesundheitssystem, in dem viele unterschiedliche Akteure in die verschiedensten Prozesse eingebunden sind. Diese reichen von einer simplen Diagnose in einer Arzt-Patient-Interaktion bis hin zur komplexen Logistik der Entwicklung, Herstellung und Verteilung von Impfstoffen bei einer Pandemie. Gewiss kann jeder einzelne Prozess zahlreiche Detailfragen mit sich bringen, die hier nicht Thema sein können. Vielmehr soll grundsätzlich geklärt werden, welche ethischen Fragen mit der Verwendung der Begriffe „Kosten“ und „Kontrolle“ im Gesundheitswesen einhergehen können.

Der Begriff „Kosten“

Sprechen wir zuerst über den Begriff Kosten. Er bringt zunächst einmal zwei Aspekte zum Ausdruck. Erstens hat man es mit einem System zu tun, in dem Prozesse (nicht alle), erbrachte Leistungen, etc. monetarisiert sind – also mit einem Preis versehen sind. Zweitens besteht insofern eine Übersicht über die Systemprozesse, als dass ein Vergleich zwischen „Input“ und „Output“ möglich ist: Man kann also eine Vorstellung davon erzeugen, was man bekommt und was man dafür geben muss – und das, was man gibt, hat die Form eines Preises.

Diese Beobachtung bietet Anlass zu zweierlei Arten von Kritik. Man kann zum einen grundsätzlich die Frage stellen, ob überhaupt der Begriff Kosten verwendet werden soll – „Kosten“ im Sinn einer Monetarisierung von Systemprozessen und nicht in einem sehr generellen Sinn, dass jede Lebensaktivität Ressourcen (Zeit, Energie) braucht. Eine derart grundlegende Kritik mag verfehlt sein in einer Zeit, in der Preise primär als Informationsträger angesehen werden – nämlich dafür, was etwas in einem austauschbaren Sinne „Wert“ hat. Tatsächlich gibt es gute Gründe dafür, dass eine moderne Gesellschaft wie unsere ohne die Idee eines Preises von irgendwelchen Leistungen gar nicht hätte entstehen können –geschweige denn heute funktionieren könnte. Dennoch können Preise (und das damit verbundene Geld) ein kulturelles Eigenleben entwickeln – Karl Marx sprach beispielsweise vom Fetischcharakter des Geldes. Die in der öffentlichen Diskussion auftauchende Kritik, dass eine „Kostendebatte“ sich verselbstständige und verdecke, worum es eigentlich gehe, steht in dieser Tradition. Als Argument wird dieser Punkt zwar meist in einem rhetorischen Sinn verwendet – im Sinn, dass man die Kostenperspektive generell nicht ablehne, aber der eigene Bereich sei davon auszuschliessen. Insofern wirkt der Einsatz dieses Arguments oft nicht glaubhaft. Es sollte uns aber daran erinnern, dass die Kostenperspektive eines Problems nicht die einzige Perspektive ist – ein Punkt, der direkt zur zweiten Art von Kritik führt.

Akzeptiert man die Monetarisierung von Systemprozessen als zulässig, so stellt sich als zweiter Ansatzpunkt für Kritik die Frage, welche Prozesse monetarisiert werden sollten. Dieses Problem gewinnt an Schärfe, wenn Kostenkontrolle das Ziel ist. Denn die Idee der Kosten im Verbund mit ihrer Kontrolle trägt den Impetus in sich, möglichst viele Prozesse zu monetarisieren, also mit einem Preis zu belegen. Die Auswahl der Prozesse kann dabei nicht getrennt werden von der Frage, wie und wer den jeweiligen Preis festlegt. Mit „wer“ ist die Zahl der bei der Preisbildung beteiligten Personen gemeint – theoretisch reicht das Spektrum von einer Person (einem „allmächtigen Preisfestleger“) bis hin zu allen potentiellen Nutzern einer zu bepreisenden Leistung. Das „wie“ wiederum umfasst die unterschiedlichsten Mechanismen – vom freien Spiel der Anbieter und Nachfrager, über Preisbestimmung durch Verhandlungen und Absprachen bis hin zu Preisdekreten. Je weniger Personen bzw. Gruppierungen in diesem „Spiel“ von Auswahl und Preisgestaltung dabei sind, desto mehr spielt die Machtfülle der Beteiligten, die in die Verhandlungen eingebracht werden kann, eine Rolle.

Das Gesundheitswesen dürfte ein Paradebeispiel für ein System sein, in dem vergleichsweise wenige Akteure im Prozess der Auswahl der zu bepreisenden Systemprozesse und der Preisgestaltung dabei sind. In einer solchen „Machtdynamik“ hat der Bezug auf ethische Argumente oft nur instrumentellen Charakter – ein für die ethische Beurteilung dieses Problems nicht zu unterschätzender Faktor. Doch bevor dieser Punkt weiter ausgeführt werden soll, folgen einige Bemerkungen zum Begriff der „Kontrolle“.

Der Begriff „Kontrolle“

Die Verwendung des Begriffs Kontrolle verlangt Klarheit in zweierlei Hinsicht: Der zu kontrollierende Vorgang muss erfass- und messbar sein und es muss ein Kontrollziel formuliert sein. Spricht man von „Kostenkontrolle“, so scheint es auf den ersten Blick einfach, die erforderliche Klarheit zu schaffen: Durch die vorgängige Monetarisierung der Systemprozesse ist der Vorgang bereits erfass- und messbar geworden, und das Ziel ist eine Minimierung der Kosten bei vorgegebenem Output des Systems. Doch so einfach ist die Sache natürlich nicht, wobei in grundsätzlicher Hinsicht drei Probleme zu nennen sind:

Das erste Problem sind die Kosten der Monetarisierung – also der zu leistende Aufwand bei der Auswahl neuer zu bepreisender Systemprozesse. Man muss sich hier bewusst sein, dass nur schon die Definition eines gewissen Ablaufs als „einheitlicher Prozess“ sehr aufwändig sein kann. Wo zieht man die Grenze zwischen unterschiedlichen Prozessen? Mit welcher Tiefenschärfe will man den Prozess aufgliedern? Welche Varianz will man bei der faktischen Umsetzung eines Prozessschritts zulassen, so dass dieser noch als „einheitlich“ gilt? Das sind keineswegs neue Fragen, sie bergen aber bei der realen Umsetzung einen möglicherweise enormen Aufwand, der den Vorteil, den man durch die Monetarisierung erreicht, aufwiegen kann.

Das zweite Problem betrifft die Quantifizierung des „Outputs“. Kosten werden ja nur als Informationsträger verstanden, als Bewertung von „etwas“. Besteht über dieses Etwas aber keine klare Vorstellung, so operiert eine Kostenkontrolle ohne Zielgrösse. Sicher gibt es Fälle, in denen das Problem einfach ist. Stehen zwei Bluttests, die mit vergleichbarer Sicherheit bestimmte Blutwerte messen, für den gleichen Zweck zur Verfügung, können die Kosten beider Testverfahren direkt verglichen werden. Doch das Problem ist, dass im Gesundheitswesen der zu bemessende Output oft weit komplexer ist und auch von Faktoren abhängt, die mit dem zu monetarisierenden Prozess nichts zu tun haben. Vergleicht man dann Output und Kosten des Gesamtsystems – beispielsweise Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandprodukt versus Lebenserwartung der Bevölkerung – so können zwar sehr interessante, aber schwer zu beurteilende Ergebnisse herauskommen. So schneidet beispielsweise die USA im Vergleich zu vielen Drittweltstaaten in dieser Hinsicht schlecht ab – doch inwieweit dies als Fehlfunktion des Gesundheitswesens oder als Ergebnis anderer Probleme zu werten ist, bleibt unklar.

Drittens muss auch untersucht werden, auf welche Weise die Kontrolle dann faktisch stattfinden wird (Häufigkeit der Kontrolle etc.). Hier stellen sich nicht nur Fragen hinsichtlich des Aufwands (der an sich ebenfalls monetarisiert werden müsste), sondern auch der Zuverlässigkeit der Kontrolle und nicht zuletzt ethische Fragen im Hinblick auf die Zulässigkeit bestimmter Arten von Kontrolle. Man mag beispielsweise alle in einem Spital arbeitenden Personen mit einem GPS-Ortungssystem ausrüsten wollen, so dass jederzeit Klarheit herrscht, wo eine Person ist und was sie macht. Doch ein solches Unterfangen stünde in einem klaren Widerspruch zu den Freiheitsrechten der betroffenen Personen.

Kostenkontrolle und Ethik

Wie lassen sich nun aus den bisherigen Überlegungen ethische Rahmenbedingungen für die Umsetzung einer Kostenkontrolle definieren? An dieser Stelle soll keine inhaltliche Antwort gegeben werden im Sinn einer Festlegung, welche Werte und Normen bei einer Umsetzung der Kostenkontrolle nicht verletzt werden sollen. Dies deshalb, weil gerade diese Frage Thema einer ethischen Debatte rund um Kostenkontrolle ist und nicht von vornherein festgelegt werden soll. Zudem braucht eine Behandlung dieses Themas weit mehr Platz, als an dieser Stelle zur Verfügung steht. Dennoch sei auf folgende ethische Fragestellungen verwiesen, die einen formalen Rahmen für eine ethische Debatte rund um die Frage der Kostenkontrolle liefern:

  • Die Idee der Kostenkontrolle trägt die Gefahr in sich, zu einem „Fetisch“ zu werden, zu einer abstrakten Orientierungsgrösse, die sich von den Systemprozessen, die monetarisiert wurden, losgelöst hat. Dieser Fetischcharakter kann sich unter anderem dadurch zeigen, dass gar nicht mehr geprüft wird, inwieweit das Modell des Systems (also beispielsweise die Regulierungen, die alle Prozesse in einem Spital möglichst genau regeln sollen) überhaupt dem tatsächlichen Handeln im System entspricht. Die ethische Fragestellung lautet hier: Kommen andere Perspektiven auf ein gewisses Problem, das das Gesundheitssystem lösen will, noch zum Zug?

  • Kostenkontrolle geht einher mit dem Wunsch, immer mehr implizite Vorgänge in einem System explizit zu machen. Da natürlich nicht alles aufs Mal genauer untersucht werden kann, ist entscheidend, in welchen Bereichen man solche Explizierungen sucht (z.B. bei der ärztlichen Diagnostik, der Pflege, der Administration eines Spitals etc.). Die ethische Frage lautet: Wer bestimmt, was expliziert werden soll?

  • Jede Monetarisierung geht mit Mechanismen einher, in denen dann der geltende Preis für einen bestimmten Systemprozess bestimmt wird. Hier lautet die ethische Frage: Welche Machtkomponenten spielen bei der Preisbildung hinein und welche Legitimation haben diese Machtansprüche?

  • Kostenkontrolle geht mit einem Messproblem in mehrfacher Hinsicht einher, z.B. Abgrenzung der Prozesse und Bestimmung des Outputs. Damit gehen immer auch normative Festlegungen einher und die ethische Frage lautet hier: Wie werden diese begründet?

  • Die eigentlichen Kontrollschritte können mit Grundwerten der zu Kontrollierenden (oder auch der Kontrolleure) in Konflikt geraten. Die Frage hier ist dann: Welche Grundwerte sind das und was bedeutet das für die Suche nach einer Lösung dieses Konflikts?

Diese kurze Übersicht verdeutlicht die Komplexität, die mit der Frage einer Umsetzung der Kostenkontrolle verbunden sind. Deshalb überrascht auch das einfache Bild, das im Zug von Spardebatten (nicht nur im Gesundheitswesen) gezeichnet wird, wenn es um „Sparen“ und „Kosten“ geht. Die Gegenüberstellung eines „kalten ökonomischen Systems“ versus Menschen, die etwas ethisch unstrittig Gutes tun (im Gesundheitssystem: Menschenleben retten), lebt letztlich von genau der Fetischisierung der Kostenperspektive, die sie angreift. Insofern verdeckt diese Darstellung des Problems den Machtdiskurs, der heutzutage die Monetarisierung des Gesundheitssystems antreibt. Kostenkontrolle bedarf demnach eines richtigen Masses an Transparenz und auch einer Eingriffsmöglichkeit jener, die diese Kosten faktisch zu bezahlen haben.

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