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Hoffnung auf den Trümmern des Kalten Krieges

Seit Dezember 1992 ist mit Green Cross eine weitere Organisation Teil der internationalen Umweltbe-wegung. Die von Michail Gorbatschow präsidierte Organisation profiliert sich insbesondere durch ihr Enga-gement, sich den umweltschädigenden Hinterlassenschaften des Kalten Krieges anzunehmen. In letzter Zeit werden aber auch vermehrt weitere Schwerpunke gesetzt, so die Verhinderung von Konflikten um die immer kanpper werdende Resource Trinkwasser.

„Für die Umweltbewegung geht das Jahrhundert des Protestes langsam vorbei. Nun muss ein Jahrhundert der Lösungen folgen“: Mit diesen Worten von Roland Wiederkehr, Verantwortlicher für die deutschsprachigen Länder bei Green Cross International, soll implizit auch die noch junge Umweltorganisation Green Cross International charakterisiert werden. Sie will sich nicht à la Greenpeace an alle Umweltprobleme anketten, sondern konkrete Lösungen anbieten: Kooperation statt Konfrontation heisst die Losung. Wie erfolgreich dieses sympatisch klingende Motto bereits umgesetzt wurde, wird zuweilen kritisiert: Pressebericht der letzten Jahre sprechen davon, dass mehr Worten als Taten von der in der Schweiz beheimateten Organisation zu hören waren; doch gar so schlecht präsentiert sich die Bilanz der noch jungen Organisation nicht.

Ihre Wurzeln hat Green Cross in den zahlreichen umweltschädigenden Hinterlassenschaften des Kalten Krie-ges. Die Produktion von Massenvernichtungswaffen hat paradoxerweise vor allem dem jeweiligen Produzen-ten am meisten geschadet: Ganze Landstriche wurden aufgrund von Unfällen oder schlampiger Arbeitsweise verseucht. Zudem lagern Nuklearwaffen und chemische Kampfstoffe inklusiver hochgiftiger Abfallstoffe von deren Produktion in schlecht gesicherten Lagern und weitherum fehlt das Geld, das Teufelszeugs loszuwer-den. So kostet die Vernichtung von Chemiewaffen rund 100 Mal mehr als deren Herstellung, bei Nuklearwaf-fen beträgt der entsprechende Faktor sogar 1000, erklärte Hans-Urs Wanner, Präsident von Green Cross.

Besonders von diesem Dilemma betroffen ist die ehemalige Sowjetunion: Umfälle in Atomwaffenfabriken haben Teile des Urals verseucht, die Truppenübungsplätze der Roten Armee verfielen mangels Vorschriften im Laufe der Übungs-Jahrzehnte zu Sondermülldeponien - und dann ist da noch Tschernobyl. Allein in der Ex-UdSSR sind rund 80 grossflächige Gebiete durch Bombentests, Unfälle und unverantwortlichem Umgang mit Nuklear- und Chemiewaffen verseucht, mit verheerenden Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung ha-ben kann. Der militärisch-industrielle Komplex verseuchte Russland sieben mal mehr als Tschernobyl, stellte Wiederkehr dazu fest. Dazu kommt, dass diese Länder kaum die finanziellen Mittel haben, ihr Erbe des Kal-ten Krieges umweltgerecht loszuwerden.

Michail Gorbatschow war sich schon während seiner Zeit als Staatschef der UdSSR der massiven ökologi-schen Probleme in seinem Land bewusst. Mit Green Cross präsidiert er jetzt eine Organisation, die sich schwerpunktmässig der Hinterlassenschaft des kalten Krieges in seiner Heimat annimmt. Legacy (Das Erbe) heisst denn sinnigerweise das wichtigste der derzeit fünf Programme von Green Cross, das von der Schweizer Sektion initiiert wurde. Mit der Komponente SocMed von Legacy war Green Cross erstmals ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen: In Therapiecamps werden Kinder aus strahlen- und chemieverseuchten Gebieten behandelt um den Ausbruch chronischer Krankheiten, verursacht durch die Umweltbelastung, zu verhindern. Seit 1995 hat Green Cross mehr als 2000 Kindern in solchen Sanatorien behandelt. Diese sind bewusst in Russland und Weissrussland selbst angesiedelt. Dadurch können die Kosten niedrig gehalten wer-den. Die beiden anderen Komponenten von Legacy gehen direkt auf die Beseitigung chemischer und atoma-rer Waffen ein: Die Komponente ChemTrust soll die Bevölkerung wie die Regierung (vor allem in Russland) über die umweltverträgliche Vernichtung von Chemiewaffen informieren. Dies ist nicht unbedeutend, denn die Bevölkerung in der Umgebung von Chemiewaffen-Lagern traut der Regierung gar nicht erst zu, die Waf-fen korrekt vernichten zu können, so Wanner. So braucht es auch Vertrauens-Arbeit, damit die Akzeptanz für die Chemiewaffen-Vernichtung auch bei der lokalen Bevölkerung geschaffen werden kann. Mit der dritten Komponente RadLeg werden schliesslich die Gesundheits- und Umweltschädigungen durch militärisch-industrielle Nuklearprogramm überhaupt erst einmal erfasst. Ergebnisse von RadLeg sollten in den kommen-den Monaten veröffentlicht werden. Das Legacy-Programm wird nicht nur von Spenden und Patenschaften (im Fall von SocMed), sonden auch von Regierungsgeldern der Schweiz und des US-Verteidigungsministeriums unterstützt.

Ein weiterer Schwerpunkt von Green Cross ist das „Water is Life“-Programm. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass (Trink-)Wasserknappheit in naher Zukunft ein schwerwiegendes Problem in weiten Teilen der Welt sein wird. Schon jetzt fliehen nach Angaben von Green Cross Menschen aus Nordafrika aufgrund dramatisch gesunkenen Grundwassers in ihren Heimatdörfern nach Europa: sie sind Öko-Flüchtlinge.

Anfang Juni dieses Jahres stellten Michail Gorbatschow und der ehemalige israelische Aussenminister Shi-mon Perez das Programm „Water is Life“ vor. Damit sollen potentielle Wasser-Konflikte möglichst früh erkannt werden, damit rechtzeitig Massnahmen ergriffen werden können. Im Herbst 1998 will Green Cross dazu einen Wasser-Gipfel im Mittleren Osten organisieren.

Mit dem Programm „Earth Charter“ agiert Green Cross auch auf der grundsätzlichen Ebene. In Zusammenar-beit mit anderen Umweltorganisationen soll eine Erd-Charta erarbeitet werden, welche die Menschheit zu einem sorgfältigen und nachhaltigen Umgang mit der Vielfalt des Lebens und den Ressourcen verprlichten soll. Diese Charta soll im Jahr 2000 der UNO-Vollversammlung vorgelegt werden.

Nebst zweier weiterer, kleinerer Programme konzentriert sich Green Cross auf die Jugend: Green Cross Youth bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich an verschiedenen Projekten von Green Cross zu beteiligen. So ist es möglich, in den Therapie-Camps Arbeitseinsätze zu leisten oder sich an einem Renaturierungspro-jekt in der russischen Stadt Tula teilzunehmen. Bei letzterem Projekt beteiligen sich auch Fachleute der Eidg. Anstalt für Gewässerschutz. Green Cross vermittelt auch Studenten-Austauschprogramme mit der Moskauer Universität für Ökologie und Politologie. Interessant sind schliesslich auch eine Reihe Vor-Ort-Projekte: Green Cross rüstet Schulen in allen 23 GC-Stützpunkten in Russland mit einfachen Wasseranalyse-Sets aus. Die Schüler überwachen damit die Gewässer in ihrer Umgebung und tauschen Informationen via Internet auf. Im Fall von Verschmutzungen wenden sie sich an die Behörden - und werden erstaunlicherweise auch ange-hört. Somit leistet Green Cross Sensibilisierungsarbeit in Staaten, bei denen jahrzehntelang ökologische An-liegen mit Füssen getreten wurden.


Interview mit Prof. Hans-Urs Wanner, Präsident von Green Cross Schweiz

Worin besteht Ihre persönliche Motivation, sich bei Green Cross zu engagieren?

Von meiner Arbeit her als Professor an der ETH Zürich haben Umweltanliegen schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Dadurch war ich auch in einem Beziehungsnetz integriert und wurde schliesslich vor einigen angefragt, ob ich die Präsidentschaft von Green Cross übernehmen möchte.

Worin besteht die Originalität der Green-Cross-Projekte?

Das Legacy-Programm, d.h. die Aufrarbeitung der Altlasten des Kalten Krieges, ist sicher eine Spezialität von Green Cross. Dabei geht es nicht nur um eigentliche Hilfsaktionen, sondern man will die ganzen Projekte wissenschaftlich begleiten. Ein weiterer wichtiger Gedanke von Green Cross ist jener der Prävention von Umweltschäden.

Was unterscheidet Green Cross von anderen Umwelt-Organisationen?

Da sind folgende Punkte zu nennen: Green Cross betont den wissenschaftlichen Background unserer Projekte. Wir sind nicht nur auf Aktionismus aus, sondern wollen möglichst konkrete, fundierte Projekte durchziehen.

Warum engagiert sich Green Cross denn bei der Mitformulierung einer Erd-Charta, einem höchst abstrakten Projekt?

Green Cross muss bei der Erd-Charta das Rad nicht neu erfinden. Diese Charta spielt die Rolle einer Leitidee, einer Vision, die letztlich die konkreten Projekte motiviert.

Wie sehen Sie persönlich die Zukunft von Green Cross?

Ich glaube, dass Green Cross seinen Platz in der weltweiten Bewegung für eine Nachhaltige Welt haben wird. Es werden nicht alle Menschen gleich vom Umweltproblem angesprochen. Durch die Abstützung auf nationa-le Gruppen kann Green Cross auf Mentalitätsunterschiede eingehen.

Was meinen Sie mit „Mentalitätsunterschieden“

Es gibt einmal die Fakten bezüglich der weltweiten Umweltprobleme, konkrete Belastungen von Ökosyste-men, Verschmutzungen u.s.w. Doch es gibt auch ethische grundlagen bezüglich der Beurteilung des Umwelt-problems. Hier manifestieren sich die angesprochenen Unterschiede. Da können auch religiöse Unterschiede reinspielen. Das Christentum wirft einen anderen Blick auf das Umweltproblem, als der Buddhismus.

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