Ein Netz für die Reichen
Rasant bewegt sich der Fortschritt im Bereich Telekommunikation. Doch der Grossteil der Entwicklungsländer hinkt diesem hinterher. An einem Symposium in Genf diskutierten Vertreter von Drittweltländern, wie man der Entwicklung in diesem sehr wichtigen Berich modernen Technologie mithalten kann.
Die Diskrepanz hätte grösser kaum sein können: An der Ausstellung Telecom Interactive von Mitte September in Genf präsentierten die führenden Firmen aus der Computer- und Fernmeldebranche die gleissende Zukunft der Kommunikationstechnologie. Gleichenorts diskutierten am Telecom Development Symposium Vertreter von Ländern miteinander, deren Bevölkerung teilweise nicht einmal die Funktionsweise von Telefonapparaten kennt. „Die Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern im Bereich Telekommunikation ist riesig“, stellt denn auch Abdul Mejid Hussein, Transport und Kommunikationsminister von Äthiopien fest (vgl. auch mit nebenstehendem Interview).
Besonders deutlich wird dieser Unterschied, wenn man den neusten und rasant wachsenden Bereich der Kommunikationstechnik betrachtet, das Internet: Dieses wird von 97 Prozent von den reichen Industrieländern benutzt. Von den derzeit (1996) weltweit 16,1 Millionen Host-Rechnern des Internets stehen nur 0,6 Prozent in Afrika, wie die International Telecommunication Union (ITU), die UNO-Behörde für Telekommunikation, in ihrem neusten Bericht feststellt. Bleibt Südafrika unberücksichtigt, so ist ganz Afrika ein einziges Loch in der Internet-Landschaft (vgl. mit nebenstehender Grafik).
Natürlich kann man angesichts der vielen Dauerkrisen in so manchen Ländern der Dritten Welt die Bedeutung des Internet relativieren. Das Bedürfnis nach sauberem Wasser, genügend Nahrungsmittel und Sicherheit vor Bürgerkriegen mag vielerorts an erster Stelle stehen. Ein verpasster Anschluss an die weltweiten Telekommunikationsnetze zementiert jedoch die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Staaten. „Man muss deshalb erst einmal verstehen, welche Bedeutung die Entwicklung einer Telekommunikations-Infrastruktur für die Länder der Dritten Welt hat“, stellt dazu Hussein fest. Ohne ausreichende Vernetzung bleiben diese Länder für Investoren unattraktiv. Auch die Forschung der einzelnen Länder benötigt den Anschluss ans Internet, um weltweit überhaupt gehört werden zu können.
Entwicklung mit Unterschieden
Die ungleichmässige Entwicklung des Internets ist sicher an den nationalen Wohlstand gekoppelt. Die ITU stellt in ihrem Bericht eine klare Korrelation zwischen Bruttosozialprodukt und der Dichte an Internet-Host-Rechnern fest. Doch damit ist die ganze Geschichte noch nicht erzählt: So ist das Pro-Kopf-Einkommen in Finnland um vierzig Prozent niedriger als in Japan, doch das Land hat zehnmal mehr Host-Rechner als der südostasiatische Wirtschaftsgigant. Demnach spielen auch eine Reihe sozialer und kultureller Faktoren eine Rolle, will man geographische Unterschiede im Wachstum des Internets verstehen.
Zentral ist natürlich auch das Vorhandensein der nötigen Telekommunikations-Infrastruktur. Der am Symposium geäusserte Wille der Drittweltstaaten, am Fortschritt der Kommunikationstechnologie teilhaben zu können, ist demnach nicht nur ein Hunger am Internet. Vielmehr ist der Wachstum des Netzes generell ein Symptom für eine verbesserte Kommunikations-Infrastruktur der entsprechenden Staaten. Der ITU-Bericht stellt denn auch eine klare Korrelation zwischen Internet-Dichte und Anzahl Telefonlinien pro Einwohner fest.
Ein verspäterter Einstieg in den Kommunikations-Zug hat überdies durchaus auch seine Vorteile: Man kann gleich mit modernster Technologie einsteigen. Russland beispielsweise hatte 1990 14,2 Telefonlinien pro 100 Einwohner, wobei das telefonnetz 5 Prozent digitalisiert war. China hatte im gleichen jahr nur 0.6 Linien pro 100 Einwohner, das Netz war aber bereits zu 29 Prozent digitalisiert. 1996 waren es in Russland nunmehr 18 Linien pro hundert Einwohner, die Digitalisierung blieb bei mageren 18 Prozent stecken. China hatte deren 4,5 Linien bei einer Digitalisierung von annähernd 100 Prozent!
Für Länder mit rudimentären Telefonnetzen bietet sich ein drahtloser Zugang ans Internet an. In Nord-Uganda beispielsweise läuft seit Mitte 1997 ein entsprechendes Pilotprojekt, welche das Internet-Bedürfnis lokaler Spitäler, ansässiger Hilfswerken und Missionsstationen befriedigt - zu einem kleinen Preis, ein wichtiger Faktor für Drittweltländer.
Ein weiterer unentberlicher Aspekt für die Verbreitung des Internets ist die Verfügbarkeit von Computern und anderer Hardware sowie das Vorhandensein von Leuten, welche mit den Rechnern umzugehen wissen. Eine geringe Rechnerdichte bedeutet aber nicht zwangsläufig schlechte Karten im Internet-Spiel: Gerade in Entwicklungsländer werden vermehrt öffentliche Zugänge für Leute ohne Computer ans Internet angeboten. Entsprechende Projekte laufen beispielsweise in Peru, Kasachstan und Usbekistan.
Als wichtiger Hemmschuh in der Internet-Entwicklung erweist sich auch die Struktur der Märkte in den einzelnen Ländern: Solche mit staatlichem Telekom-Monopol verhindern grösstenteils den Zugang von Internet Service Providern und damit auch den Wachstum des Netzes.
Entscheidene kulturelle Faktoren
Technik und Mark bilden nur die eine Seite, wenn es um die Beurteilung des Internet-Wachstums geht. Viel entscheidender ist der Einfluss sozialer und kultureller Faktoren in den einzelnen Ländern. Erstaunlicherweise ist der Einfluss der Sprache nicht so entscheidend, wie man meinen könnte. Englisch ist zwar die dominierende Netz-Sprache, doch die skandinavischen Länder beispielsweise habe eine höhere Dichte an Host-Rechnern als die englischsprachigen Länder USA, Grossbritannien oder Australien.
Als sehr bedeutender Faktor gilt das Alter und die Ausbildung der Internet-Nutzer. Es sind vor allem junge, gut ausgebildete Menschen, welche sich die Vorzüge des Netzes zunutze machen. Entsprechend besitzen Länder mit einem hohen Anteil dieser Bevölkerungsschicht einen guten Nährboden für Internet-Wachstum.
Angesichts der Vielzahl der Faktoren, welche das Wachstum des Internet beeinflussen, stellt sich nun die Frage, mit welchen Massnahmen man dieses Fördern kann. Am Symposium in Genf stellte Tim Kelly, Verantwortlicher für strategische Planung bei der ITU, dazu folgendes fest: So braucht es liberalisierte Märkte, damit verschiedene Internet-Provider Marktzugang erhalten und ein Konkurrenzkampf bezüglich Provider-Kosten einsetzen kann. Zweitens sollten die Telefonkosten gesenkt werden. Im weiteren soll die Anwendung des Internet promotet werden, etwa indem man jedem Studenten des Landes eine E-Mail-Adresse verschafft. Auch die staatlichen Stellen selbst soll beginnen, das Internet zu nutzen. Schliesslich soll auch die internationale Zusammenarbeit gefördert werden. Ein Beispiel dazu ist Botswana, das stark von der Internet-Infrastruktur seines Nachbarlands Südafrika profitiert.
Noch ist der Zug nicht abgefahren
Die Dritte Welt steht grösstenteils noch ausserhalb der Internet-Welt. Die Bemühungen der einzelnen Länder zum Zugang am Netz und auch die Programme der ITU tragen jedoch erste Früchte: Derzeit sind die Zuwachsraten des Netzes in Asien und Afrika weltweit am höchsten, wenngleich die meisten staaten auf bescheidenem Niveau beginnen. Doch die technik schreitet unaufhaltsam voran. Als bei einer Veranstaltung von Telecom Interactive Spitzenvertreter von Microsoft, Sun Microsystems und SAP die Telekom-Zukunft verhiessen, stand ein Vertreter Ugandas auf. Er wünsche sich, dass die grossen Software-Unternehmen auch weiterhin ältere Software produzierten, welche auf den antiquierten Maschinen der Drittweltstaaten laufen würden, sagte er. „No way“ war die einhellige Antwort. Der technische Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Bernhard Vergnes, Präsident von Microsoft Europa fügte hinzu, es sei eigentlich ein Witz, wenn die Industriestaaten ihre alten Computer nach Afrika schickten, denn damit bleibt die Kluft in der Kommunikationstechnologie bestehen. Recht hat er.
„Kommunikation ist ein Grundrecht“
Für Entwicklungsländer ist Internet alles andere als selbstverständlich. Über die Probleme beim Anschluss ans weltweite Netz gibt Abdulmejid Hussien, Transport- und Kommunikationsminister von Äthiopien, Auskunft.
Bieler Tagblatt: Wie viele User sind derzeit in Äthiopien ans Internet angeschlossen?
Abdulmejid Hussien: Offiziell ist Äthiopien seit dem 1. Januar 1997 am Netz. Derzeit gibt es 1350 User. Geplant ist die Bereitstellung von 5000 Anschlüssen bis Mitte 1998, dies in Zusammenarbeit mit dem US-Telekommunikationsunternehmen Sprint.
BT: Wer braucht diese Anschlüsse?
Hussien: Die Internet-Nutzer kommen aus verschiedenen Bereichen: Universitäten und diplomatische Vertretungen sind ebenso vertreten, wie UN-Organisationen oder auch Industriebetriebe Äthiopiens.
BT: Was macht die äthiopische Regierung, um das Internet zu promoten?
Hussien: Der erste Schritt war die Vereinbarung mit Sprint, um das Netzwerk überhaupt aufzubauen. Jetzt wollen wir mit Zollerleichterungen dafür sorgen, dass billige Hardware vorhanden ist. In Zukunft soll die Infrastruktur für das Netzwerk weiter ausgebaut werden.
BT: Was entgegnen Sie ihren Regierungskollegen, wenn sie sagen, Äthiopien habe groessere Probleme als der Anschluss an das Internet?
Hussien: Mit diesem Vorwurf wurde ich tatsächlich konfrontiert. Andere Minister meinten, die Bereitstellung von saubere Wasser oder der Bau von Häusern sei wichtiger. Ich meine jedoch, dass auch Kommunikation ein Grundrecht unseres Volkes ist. Wir müssen deshalb in Äthiopien ein Netz von Kommunikationseinrichtungen aufbauen, mit Möglichkeiten zum Telefonieren, mit Anschluss ans Internet und anderem. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes.
BT: Wieviel Geld braucht Äthiopien fuer den Aufbau der Telekommunikations-Infrastruktur?
Hussien: Das wird wohl Milliarden kosten. Diese Möglichkeiten haben wir nicht. In den kommenden drei Jahren wollen wir für dieses Unterfangen jährlich 107 Millionen Dollar ausgeben.
BT: Erwarten Sie Hilfe von anderen Ländern?
Hussien: Wir erhoffen uns von der ITU technische Unterstuetzung. Doch für den Aufbau der Infrastruktur wollen wir keine Gelder von aussen. Wir erwarten, dass sich das Geschäft mit der Telekommunikation auch bei uns lohnt und demnach selbsttragend sein wird.