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Braucht es am Schluss doch ein Gentech-Gesetz?

Noch vor gut zehn Jahren war Selbstkontrolle das Prinzip, dem sich Gentechniker zu unterwerfen hatten. Das steigende Misstrauen in der Bevölkerung und die zunehmende Rechtsunsicherheit liess aber den ruf nach neuen Gesetzen erschallen. Dieser Prozess ist seit einigen Jahren in Gang und er wird weitergehen. Welche Richtung dabei eingeschlagen wird, entscheidet die Gen-Schutz-Abstimmung.

Seit einem Vierteljahrhundert sind die Gene im Visier der Techniker. Fast gleichalt sind die Versuche, der Genforscher Leitplanken für ihr Tun zu verpassen. Dieser Wunsch wuchs bei den wissenschaftlern selbst - als gebrannte Kinder der Atomtechnik. Bald nach dem ersten gelungenen Gentech-Experiment wurde ein Moratorium für solche Versuche beschlossen (vergleiche BT vom 22. Dezember 1997). 1975 folgte die Richtlinie der US-Gesundheitsbehörde für Versuche mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen. In der Schweiz wurde im gleichen Jahr die sogenannte Kommission Arber ins Leben gerufen, welche die US-Richtlinien auch für die Schweiz als anwendbar erklärte. Aus dieser entstand 1986 die Kommission für biologische Sicherheit (SKBS), welche gentechnische Arbeiten in Forschung und Industrie registriert und bei Sicherheitsfragen berät.

All diese ersten Versuche, der Gentechnik Fesseln anzulegen, beruhten auf dem Prinzip der Selbstkontrolle. Also war kein Forscher verpflichtet, die Sicherheitsrichtlinien auch einzuhalten. Alles konnten sie zwar nicht tun - schliesslich gab es auch andere gesetzliche Schranken, welche auf die Gentechnik Anwendung fanden. Für Forscher wie die Industrie war die Reglierungssituation in der Schweiz aber bis Ende der 80er Jahre sehr günstig, wie der Ökonom Olivier Binet in einer Studie festhält. Zu jener Zeit wären beispielsweise sowohl Freisetzungen als auch die Markteinführung von Gentech-Lebensmitteln ohne Bewilligung möglich gewesen.

Der Widerstand wächst

Dieses „Gesetzes-Vakuum“ war nicht so schlimm, wie der erste Anschein vermuten lässt. Gentechnik war zu Beginn vor allem eine Angelegenheit der Grundlagenforschung. Gearbeitet wurde im Labor - vor allem mit Mikroorganismen. Kommerzielle Anwendungen der Gentechnik wurden zwar schon früh diskutiert, doch es dauert seine Zeit, bis tatsächlich Produkte auf den Markt kommen. Dies geschah überdies vor allem in den USA. In der kleinen Schweiz wiederum kannten sich die Gen-Forscher wie auch die Mitglieder der SKBS untereinander gut. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass es damals kaum Projekte gab, die nicht angemeldet wurden, stellt Binet fest. Die Vorgänge in der Schweizer Gen-Forschung waren also bekannt.

Diese bequeme Situation für die Schweizer Gen-Forscher änderte sich aber, als sich kritische Stimmen aus dem Volk meldeten. Dies vor allem deshalb, weil die Auswirkungen der gentechnik auf den Alltag der Menschen zunehmend sichtbar wurden (Genfood, Gentests, u.a.). Einerseits wurde die Diskussion um Gentechnologie durch die „Beobachter-Initiative“ angeregt. Das 1987 eingereichte Volksbegehren hatte zwar vor allem die Gen- und Fortpflanzungstechnik beim Menschen zum Thema. Die nachfolgende parlamentarische Debatte drehte sich aber auch um den Ausserhumanbereich.

Andererseits trat vor allem in Basel der „Basler Appell gegen Gentechnologie“ auf die politische Bühne. Exemplarisch wurde durch den Kampf gegen das Biotechnikum von Ciba-(heute Novartis) grundsätzliche Bedenken gegen Gentechnologie laut. Im Dezember 1991 gab Ciba den Verzicht auf den Bau in Basel bekannt und erstellte das Biozentrum auf der anderen Seite der Grenze im Elsass. Der rechtsfreie Raum im Bereich Gentechnik wurde nun plötzlich zum Problem: Das Volk begann, der Selbstkontrolle der Wissenschaftler zu misstrauen. Rechtliche Leitplanken waren aber noch ungenügend vorhanden, so dass vor allem die Industrie die mangelnde Rechtssicherheit beklagte. Von ungünstigen Standortbedingungen für die Gen-Wirtschaft kann man aber nicht sprechen, da in anderen Ländern vergleichbare Prozesse abliefen (vgl. Kasten).

Die Gesetzes-Maschinerie läuft an

Das rasante Fortschreiten der Gentechnik und das wachsende Misstrauen der Bevölkerung weckten Anfang der 90er Jahre auch den Gesetzgeber aus dem Schlummer. Er wurde sowohl auf Verfassungs- wie auch auf Gesetzesebene aktiv: 1991 trat die Störfallverordnung in Kraft, welche Regelungen für biotechnologische Anlagen brachte. 1992 wurde der Gegenvorschlag zur „Beobachter-Initiative“ vom Volk angenommen. Dieser Verfassungsartikel 24novies verlangt Gesetze für die Anwendung der Gentechnik bei Pflanzen, Tieren und anderen Organismen. Dabei sollen als Grundsätze die Würde der Kreatur, die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt und die Artenvielfalt beachtet werden.

Zur gleichen Zeit organisiert sich die Gentech-Gegnerschaft in der „Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie“ (SAG). Die SAG betrachtete schon vor der Volksabstimmung von 1992 den Verfassungsartikel 24novies als zu lasch und lancierte die Gen-Schutz-Initiative. Diese umfasst (wie vom BT schon mehrfach berichtet wurde) drei Verbote: Genetisch veränderte Tiere dürfen weder hergestellt, erworben oder weitergegeben werden. Genetisch veränderte Organismen dürfen nicht freigesetzt werden. Gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen sowie deren Bestandteile, die dabei angewandten Verfahren und deren Erzeugnisse dürfen nicht patentiert werden. Für die meisten anderen erlaubten Anwendungen (Gentech-Pflanzen und -Mikroorganismen in geschlossenen Systemen und Forschung mit Mikro-Organismen) soll eine Bewilligungspflicht und eine sogenannte Beweislast-Umkehr gelten. Man muss Nutzen und Sicherheit, das Fehlen von Alternativen und die ethische Verantwortbarkeit darlegen. Im Oktober 1993 wurde das Volksbegehren eingereicht.

Der Bundesrat wiederum startete kurz nach der Abstimmung von 1992 ein Gesetzgebungsprogramm. Aufgrund eines Berichts der Interdepartementalen Koordinationsstelle Kobago (die zuständig für die Bewilligung von Gentech-Organismen ist) entschied der Bundesrat, dass kein einheitliches Gentech-Gesetz geschaffen werden soll. Vielmehr sollen die bestehenden Gesetze angepasst werden. Die Interdepartementale Arbeitsgruppe für Gentechnologie (Idagen) formulierte 1993 insgesamt neun Projekte für die Erstellung gesetzlischer Schranken für die Gentechnik. In zwei wichtigen Bereichen wurde bereits gehandelt: 1995 wurden sowohl das Umweltschutzgesetz als auch die Lebensmittelverordnung revidiert (siehe Kasten unten). Die Schweiz befand sich somit in einer paradoxen Situation: Einerseits wurde von Seiten des Gesetzgebers versucht, die herrschende Rechtsunsicherheit mittels Gesetze aufzuheben. Andererseits hängt das Damoklesschwert Gen-Schutz-Initiative im Raum, welche weit radikalere Schranken wünscht und damit Forscher und Firmen gleichermassen in Unsicherheit belässt.

Der gescheiterte Gegenvorschlag

Im September 1996 folgte die Parlaments-Debatte zur Gen-Schutz-Initiative. Die SP-Fraktion formulierte damals einen Gegenvorschlag, der die Verbote der Initiative in wesentlichen Punkten aufgeweicht hätte: So wären genetisch veränderte Tiere im Bereich Forschung und Medizin und auch die Freisetzung genetisch veränderter Pflanzen unter Auflagen erlaubt gewesen. Zudem berücksichtigte er Aspekte, die von den Initianten vergessen wurden: Eine verstärkte Haftpflicht und eine strikte Deklaration von Gentech-Produkten (das betrifft vor allem Genfood). Das Patentierungsverbot wurde nur soweit gelockert, als dass es mit den internationalen Abkommen der Schweiz vereinbar gewesen wäre (d.h. nur Patente an Pflanzen und Tieren sind verboten, nicht an Verfahren u.a.).

Die Chance eines Gegenvorschlags wurde aber verpasst. Die bürgerliche Mehrheit war der Ansicht, der bestehende Verfassungsartikel und das Idagen-Programm genügten. Die Minderheit sah darin eine Machtdemonstration der Chemie-Lobby, da der Gegenvorschlag dasPatentverbot beinhaltete. Der SP-Vorstand hat danach auch aus taktischen Gründen die Ja-Parole zur Gen-Schutz-Initiative beschlossen. Innerhalb der Partei war dieser Entscheid auf Kritik gestossen. Vor allem wissenschafts- und gewerkschaftsnahe Kreise fühlten sich brüskiert. In einer Feuerwehraktion konstituierte sich aus dieser Gruppe vor knapp zwei Wochen ein Komitee „Linke gegen die Gen-Schutz-Initiative“.

Von der Motion zum Gen-Lex?

Ein Erfolg wurde bei der Debatte von 1996 immerhin erzielt: Der Nationalrat überwies dem Bundesrat die sogenannte Gen-Lex-Motion. Diese verlangt, dass die im bestehenden Gesetzgebungs-Programm vorhandenen Lücken ausgefüllt werden sollen. Dies betrifft unter anderem eine Konkretisierung der Würde der Kreatur, eine Stärkung des Schutzgedankens, neue Haftpflicht- und Deklarationsregelungen sowie eine Pflicht zur Information der Bevölkerung über gentechnologie - unter anderem auch durch eine zu bildende Ethik-Kommission.

Die Vernehmlassung von 1997 änderte zwar an den Fronten im Abstimmungskampf kaum etwas. Die Genschützer sahen im Gen-Lex-Programm keine Alternative zur Initiative, während die Initiativ-Gegner dieses als „sehr positiv“ taxierten. Tatsache bleibt, dass die Gen-Lex den Gesetzgebungsprozess im Bereich Gentechnik weiter beschleunigt hat. Die Schweiz wird damit bald ein differenziertes gesetzliches Instrumentarium zur Regelung der Gentechnik haben.

Nur ein Punkt bleibt offen. Beide Parteien äusserten nach Begutachtung des Gen-Lex-Programms den Wunsch nach einem Koordinationsgesetz. Offenbar wurde die Materie selbst dem Gesetzgeber zu kompliziert. So erhält die Schweiz vielleicht doch ein Gentechnik-Gesetz. Ein solches gibt es übrigens schon: Zwischen 1993 und 1995 hat ein Seminar an der Universität Bern ein Entwurf eines solchen Gesetzes vorgelegt, dass alle Anwendungten der Gentechnik umfasst. Vielleicht wird dieser dereinst aus der Schublade gezogen...


Gen-Gesetze im Ausland

Betrachtet man die Gesetzgebung im Bereich Gentechnik im Ausland, lassen sich zwei Varianten unterscheiden: Zum einen kann man die unterschiedlichen Anwendungsbereichte der Gentechnik regulieren (produkt-orientiert), wobei man schon bestehende Gesetze und Verordnungen anpasst. Dieser Weg beschreitet zum Beispiel die USA, die Niederlande und die Schweiz. Er hat den Vorteil, dass man die Gesetze entsprechend den Erfordernissen, die sich aus dem raschen Fortschritt der Gentechnik ergeben, anpassen kann.

Andere Länder (z.B. Deutschland, Dänemark und Österreich) schufen ein eigentliches Gentechnik-Gesetz, d.h. die Regelung knüpft in ihrem Kern an die technologische Methode an (prozess-orientiert). Dadurch wird Einheitlichkeit und das Vermeiden von Reglierungslücken (ud damit Rechtssicherheit) erreicht. Der Nachteil ist, dass man dem Fortschritt und den daraus sich ergebenden Risiken hinterherhinkt.

Alle Reglierungen verfolgen grundsätzlich das Ziel der Sicherheit von Mensch und Umwelt, wobei sich aber unterschiede in der Risikowahrnehmung ausmachen lassen. Die USA haben sehr liberale und pragmatische Gesetze im Bereich Gentechnik. Andererseits kennen sie ein sehr starkes Haftpflichtrecht, d.h. Hersteller von Gentech-Produkten müssen mit Milliardenklagen rechnen, sollte dereinst ein Schaden eintreten.

Die EU-Gesetzgebung wiederum erfasst Gentechnik schlechthin als Gefahrenherd und sie hat ursprünglich recht rigorose Bewilligungsverfahren vorgesehen. Diese wurden im Laufe der Zeit gelockert, under anderem auch deshalb, um Standortnachteile gegenüber der USA auszugleichen. In zwei Richtlinien wird zwischen geschlossenen und offenen Systemen unterschieden. Im Bereich Lebensmittel wurde kürzlich der Entscheid getroffen, dass Gentech-Mais und -Soja deklariert werden müssen. Somit gleicht sich die EU der Schweizer Deklarationspraxis an (ist genmanipulation nachweisbar, muss deklariert werden).

Unterschiede zwischen den USA und der EU (die Schweiz wird sich in diesem Bereich der EU-Praxis angleichen) gibt es auch im Patentrecht: Die USA kennen keine gesetzlichen Ausschlussgründe für die Patentierbarkeit von Tieren und Pflanzen. Das Europa-Parlament hat vor zweieinhalb Wochen seinerseits die EU-Patentrichtlinie verabschiedet. Dieses ist insofern restriktiver als die US-Variante, als dass Pflanzensorten und Tierrassen nicht patentierbar sind (analog wie in der Schweiz). Ausserdem gilt das Landwirteprivileg, d.h. Bauern können auch in Zukunft selbstgeerntete Gentech-Pflanzen (oder Gentech-Tiere) für die Zucjt verwenden. Die Schweiz wird sich voraussichtlich dieser Regelung anschliessen.

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