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Gibt es Spitex-typische ethische Fragestellungen? Eine Bestandesaufnahme

Spitalextern geleistete medizinische und pflegerische Dienstleistungen bilden einen bedeutenden Teil des Gesundheitswesens, der insbesondere älteren Menschen zugute kommt. Doch die ethischen Fragen, welche sich im Bereich Spitex stellen, lassen sich nicht auf die typischen Probleme der Altenpflege reduzieren. Auch die Art der üblicherweise erbrachten Dienstleistungen, ihre Gebundenheit an das Zuhause der Klienten und die beteiligten Professionen stellen das Feld der ethischen Fragestellungen der Spitex dar.

Die Bezeichnung „Spitex“, Abkürzung für „spitalexterne Hilfe und Pflege“, hat sich in der Schweiz seit den 1960er Jahren als allgemeine Bezeichnung für medizinische und pflegerische Dienstleistungen, die gegenüber Patientinnen und Patienten zu Hause erbracht werden, etabliert. Dieser Bereich des Gesundheitswesens verursachte in den vergangenen Jahren gleichbleibend jeweils rund zwei Prozent aller Kosten (2006 waren dies rund 1.1 Milliarden Franken), leistet aber einen bedeutenden Beitrag in der Gesundheitsversorgung: Gut 200'000 Menschen (davon fast 140'000 Frauen) nehmen Dienstleistungen der Spitex in Anspruch, knapp drei Viertel davon sind im Rentenalter – so die Zahlen der Spitex-Statistik des Bundesamtes für Sozialversicherung (BFS 2006). Nimmt man die Zahl der geleisteten Stunden als Massstab (2006 waren dies gegen 11.8 Millionen der Spitex verrechnete Stunden), wird die Dominanz älterer Klientinnen und Klienten noch deutlicher: Vier Fünftel aller geleisteten Stunden entfallen auf Personen von mehr als 56 Jahren, über 55% auf Personen von mehr als 80 Jahren.

Ziele und Dienste der Spitex

Es wäre aber angesichts dieser Zahlen falsch anzunehmen, Spitex sei eine Form von Altenpflege. Bereits die historischen Wurzeln der spitalexternen Hilfe und Pflege zeigen eine weitaus breitere Ausrichtung. Schliesslich ist die Betreuung eines Kranken in Familie und Nachbarschaft die urtümlichste Form der Krankenpflege und war vor dem Aufkommen von Institutionen wie Spitäler und Pflegeheimen schlichte Normalität. Die Grundziele der Spitex entsprechen auch weitgehend den generellen Zielsetzungen, denen man das Gesundheitssystem unterwirft:

Die Palette an Massnahmen, die dafür zur Verfügung steht, ist sehr breit. Sie lassen sich grob drei Bereichen zuordnen: Die total 11.8 Millionen im Jahr 2006 verrechneten Stunden wurden zu knapp 60% für „Pflegerische Leistungen“, zu knapp 40% für „Hauswirtschaftliche/sozialbetreuerische Leistungen“ und zu 1% für „Weitere Leistungen“ eingesetzt. Weiter aufgeschlüsselt lassen sich folgende Bereiche unterscheiden (vgl. Eschmann et al. 1996):

Die in diesen Bereichen geleisteten Dienste erreichen teilweise recht hohe Zahlen. So versorgten beispielsweise die Mahlzeitdienste im Jahr 2006 über 25'000 Personen mit insgesamt knapp 2.6 Millionen Mahlzeiten. Augenfällig ist, dass die Nutzerinnen und Nutzer dieser Dienste im Kontext der Spitex als „Klientinnen und Klienten“ (und nicht als „Patientinnen und Patienten“) bezeichnet werden. Dies lässt sich als Ausdruck der Tatsache werten, dass man bei den Nutzern von Spitex-Diensten von einem hohen Grad an Autonomie ausgeht, zumal sie ja noch zu Hause leben wollen.

Dezentrale Organisation

Historisch gesehen erwuchsen die Spitex-Dienstleister „bottom up“ im kirchlichen Umfeld; sie sind also nicht zentralistisch eingesetzt worden und waren auch nicht eng an einen Institutionalisierungsprozess gebunden, welcher beispielsweise die Medizin seit dem 19. Jahrhundert massgeblich geprägt hat (Aufbau von Fachgesellschaften, universitärer medizinischer Forschung etc.). Im Jahr 2006 widmeten sich in der Schweiz rund 27'600 Personen mit umgerechnet rund 11'500 Vollzeitstellen der Pflege und Betreuung von Spitex-Klienten – vorwiegend Frauen in Teilzeitpensen. Das sind immerhin fast 6% aller im Gesundheitswesen der Schweiz Beschäftigten. 30% der Vollzeitstellen sind mit diplomiertem Pflegepersonal besetzt, 15% der Mitarbeitenden haben keine spezifische Spitex-Ausbildung. Fast 90% der Arbeitsstunden entfallen auf die eigentlichen Dienste der Spitex und nicht verrechenbare Hintergrunddienste für die Pflege; die restliche Arbeitszeit wird für Leitungsaufgaben und Administration eingesetzt.

Trotz der dezentralen Organisation der Spitex zeigt sich auch hier ein gewisser Konzentrationseffekt: Gab es 1998 in der Schweiz noch 881 gemeinnützige Spitex-Organisationen, so sank diese Zahl 2006 auf 677 Organisationen – 90% davon sind als Verein organisiert. Diese Konzentration ist massgeblich auch durch finanzielle Erwägungen motiviert. Man schätzt, dass ein Einzugsgebiet von über 10'000 Personen nötig ist, um eine Spitex-Organisation effizient und finanziell rentabel zu führen (Mazenauer & Dubois 2004). Die einzelnen Organisationen lassen sich dabei nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren (Spescha, in Eschmann et al. 1996):

Finanzierung der Spitex

Die Spitex-Dienstleistungen lassen sich schliesslich auch in kassenpflichtige und nicht-kassenpflichtige Angebote unterteilen. So übernehmen die Krankenversicherer die Kosten der Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen zu Hause, die auf ärztliche Anordnung hin oder in ärztlichem Auftrag erbracht werden. Diese Pflichtleistungen umfassen auch die Abklärung des Pflegebedarfs, die Beratung und Anleitung zur Pflege sowie die Grundpflege. Die Leistungen der Krankenversicherer richten sich nach den alljährlich mit den kantonalen Spitex-Verbänden ausgehandelten Stundentarifen, die aber nicht kostendeckend sind. Deshalb ist die öffentliche Hand bei der Finanzierung massgeblich beteiligt.

Wer kassenpflichtige Spitex-Dienstleistungen bezieht, erhält die Kosten – abzüglich eines Selbstbehalts – von den Krankenversicherern rückvergütet. Nichtkassenpflichtig sind hauswirtschaftliche Leistungen (Unterhaltsreinigung, Besorgung der Wäsche, Einkauf usw.). Hier legen die Spitex-Organisationen die Preise fest, die dann von den Klientinnen und Klienten bezahlt werden, sofern sie nicht durch eine Zusatzversicherung gedeckt sind.

Mit dem seit Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Neuen Finanzausgleich (NFA) ändern sich gewisse Finanzierungsmechanismen (siehe dazu auch Thema im Fokus Nr. 77 vom Januar 2008). So sorgen neu die Kantone für die Hilfe und Pflege von Betagten und Behinderten zu Hause und erstellen zugunsten lokaler Institutionen ihre eigenen Finanzierungsregeln. Diese Änderung hat auch einen Einfluss auf die Spitex-Statistik: Sie wird nicht mehr vom Bundesamt für Sozialversicherungen nach dem Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV, sondern neu vom Bundesamt für Statistik nach dem Bundesstatistikgesetz erhoben.

Im Juni dieses Jahres hat das Parlament die Neuordnung der Pflegefinanzierung beschlossen. So ist neu festgelegt, dass die Kantone die Übernahme jener Kosten der Spitex- und Heim-Pflege regeln müssen, die nicht durch die Krankenkassen und die Pflegebedürftigen gedeckt sind. Die Kostenbeteiligung der Pflegebedürftigen wird auf 20 Prozent des höchsten Deckungsbeitrags der Krankenkassen erhöht, dies zusätzlich zum generellen Selbstbehalt der obligatorischen Krankenversicherung. Dafür wird für Ergänzungsleistungen im Pflegefall die Vermögensfreigrenze erhöht. Dies ermöglicht es Pflegebedürftigen mit bescheidenem Einkommen, Ergänzungsleistungen zu erhalten, ohne dass sie ihre Wohnung oder ihr Haus verkaufen müssen. Zudem wird bereits eine Hilflosenentschädigung für AHV-Bezüger bei der Spitex-Pflege neu bereits ab leichtem Hilflosigkeitsgrad ermöglicht. „Verschlechterungen und Verbesserungen halten sich somit die Waage und machen damit die Erhöhung der Selbstbeteiligung knapp akzeptabel“, meinte Andreas Keller, Leiter Kommunikation und Marketing beim Spitex Verband Schweiz.

Die ethischen Problemfelder

Dieser kurze Überblick über Funktionsweise und Leistungen der Spitex erlaubt einen zusammenfassenden Blick auf die Spitex-typischen ethischen Fragestellungen, die im nachfolgenden ethischen Kommentar genauer besprochen werden:

Diese Dimensionen ethischer Fragestellungen zeigen, dass im Bereich Spitex durchaus typische Fragestellungen auftreten, welche bisher aber nicht in einer eigenständigen Spitex-Ethikkommission angegangen werden (vgl. auch mit dem Interview mit Ruth E. Buser, Vizepräsidentin des Spitex Verbandes Schweiz). Hingegen werden ethische Aspekte indirekt im Qualitätsmanual des Spitex Verbandes Schweiz angesprochen, so etwa Fragen der Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer mit Spitex-Dienstleistungen. „Auf Stufe der Basisorganisationen kann es zudem durchaus explizit Gremien geben, die sich mit ethischen Aspekten auseinandersetzen“, meint Keller. Der gesamtschweizerische Verband könne diese aber den einzelnen Organisationen nicht vorschreiben.


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