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Gibt es eine globale Medizinethik?

Kann es angesichts der Vielfalt von Problemen und Fragen, die sich aus der Globalisierung der Medizin ergeben, eine einheitliche Antwort der Ethik geben? Diese Frage nach der Möglichkeit einer globalisierten Medizinethik kann grundsätzlich aus zwei Perspektiven untersucht werden:

Gewiss sind beide Perspektiven letztlich miteinander verknüpft. Ergibt beispielsweise die Bestandesaufnahme, dass global durchgeführte Medizinforschung überall zu vergleichbaren und auch gleich bewerteten ethischen Fragen führt, kann die Begründung einer weltweit gültigen Norm zu dieser Frage nicht vom Grundproblem der Universalisierbarkeit solcher Normen abstrahieren. Nachfolgend soll uns vorab die zweite, praktische Perspektive interessieren, doch wir beginnen mit einigen Bemerkungen zum ersten Punkt.

Schon in den Dialogen des Sokrates ist das Grundproblem aufgeworfen worden, dass sich die Sitten verschiedener Völker unterscheiden. Wie soll die Ethik, verstanden als Theorie dieser Sittlichkeit, damit umgehen? Hier lassen sich zwei Grundpositionen unterscheiden: Während so genannte ethische Relativisten festhalten, dass es keine universell gültigen moralischen Urteile gibt (und auch nicht geben soll), bestehen andere Ethiker darauf, dass die Universalisierbarkeit zumindest gewisser moralischer Urteile Kern der Ethik bildet: Bereits die „Goldene Regel“ („Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andren zu!“) oder auch der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant enthalte die Forderung, dass ethische Urteile verallgemeinerbar sein müssen, um als solche gelten zu können. Die Debatte zwischen diesen beiden Positionen hat eine lange Geschichte, die hier nicht wiedergegeben werden kann (siehe dazu z.B. Edelstein & Nunner-Winkler 2000, Engelhard & Heidemann 2005, Ernst 2009, Moser & Carson 2000). Sie findet heute insbesondere ihren Widerhall in der Frage der Universalisierbarkeit der Menschenrechte, was auch eng mit der Frage verknüpft ist, welche Rechte überhaupt als Menschenrechte gelten sollen.

Für die nachfolgenden Erwägungen ist festzuhalten, dass man sich nicht auf eine der beiden Positionen (Relativismus oder Universalismus) festlegen muss, um sinnvoll mit der Frage nach der Möglichkeit einer „globalen Medizinethik“ umgehen zu können. Zum einen gibt es Abstufungen zwischen den Positionen mit Blick auf die Tatsache, dass manche moralische Normen (z.B. das Verbot, Unschuldige zu töten) sich faktisch in praktisch allen Kulturen finden, während bei anderen deutlich mehr Unterschiede bestehen – ein gemässigter ethischer Relativist kann also lediglich die These vertreten, dass ethische Urteile nicht notwendigerweise universalisierbar sein müssen, um als solche zu gelten. Zum anderen beinhaltet die Frage nach einer „globalen Medizinethik“ auch das Problem, wie man innerhalb einer Gesellschaft mit einer bestimmten Moral mit dem Problem umgeht, dass z.B. wegen Migration andere Vorstellungen an Gewicht gewinnen. Dieser Punkt bedarf dann einer genaueren Auslegeordnung, was nun geschehen soll.

Die praktische Perspektive geht vom Phänomen der „Globalisierung“ aus – ein durchaus unscharfer und auch umstrittener Begriff. Er kann zum einen das Phänomen umschreiben, dass Austauschbeziehungen von Menschen, Gütern und Wissen bzw. kulturellen Praktiken zunehmen. Zum anderen wird er auch oft negativ konnotiert verwendet mit Blick auf den Verlust der Identität von Gruppen, Völkern oder Nationen, oft mit besonderem Fokus auf wirtschaftliche Aspekte wie Freihandel und dergleichen. Wir verwenden nachfolgend ersteres Verständnis und geben eine Auslegeordnung medizinethischer Fragen. Anzumerken ist, dass sich dieser Bereich sicher nicht klar von der Bioethik generell abgrenzen lässt (abgesehen davon, dass im angelsächsischen Sprachraum die Begriffe „bioetics“ und „medical ethics“ oft synonym verwendet werden): Stammzellforschung mit medizinischem Fokus gehört sicher dazu, während etwa die Frage der globalen Nutzung gentechnisch veränderten Saatgutes in der nachfolgenden Auslegeordnung keine Berücksichtigung findet.

Betrachten wir als ersten Punkt den „Austausch“ von Menschen im Kontext der Globalisierung. Hier ist zum einen zwischen „Geber-“ und „Nehmerländern“ zu unterscheiden, zum anderen sind mit Blick auf die Medizin vorab die Personengruppen „Patienten“ und „Fachpersonal“ relevant. Folgende ethische Fragen stehen hier im Zentrum:

Der zweite Aspekt der Globalisierung betrifft den Austausch von Gütern, wobei im Medizinbereich zwei unterschiedliche Arten von Gütern unterschieden werden:

Der dritte Aspekt betrifft schliesslich den Austausch von Wissen und damit verbundenen (kulturellen) Praktiken. Folgende Problembereiche können hier genannt werden:

Diese gewiss nicht vollständige Auslegeordnung betrifft Fragen, die in unterschiedlichem Ausmass bereits seit längerem Thema der medizinethischen Debatte sind. Mit Blick auf die grundlegenden ethischen Themen, die bei der Beurteilung dieser Fragen eine Rolle spielen und bei denen global gesehen Unterschiede zu erwarten sind, dürften insbesondere die folgenden drei eine wichtige Rolle spielen: Erstens sind Unterschiede in Bezug auf den moralischen Status bestimmter Entitäten wie z.B. Embryonen und Stammzellen zu erwarten (und auch bekannt). Zweitens dürften sich die Intuitionen von Gerechtigkeit (z.B. „Jedem das Gleiche“ vs. „Jedem das Seine“) unterscheiden. Drittens schliesslich dürfte die Bedeutung der Religion mit Blick auf die Rechtfertigung ethischer Urteile verschieden sein. Das wiederum bedeutet aber nicht per se, dass es keine globale Medizinethik geben kann. Es könnte aber sein, dass primär die Standards, wie man global über solche Fragen diskutieren will, Gegenstand eines Konsenses sind, während inhaltliche Differenzen bestehen bleiben.

Markus Christen


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