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Abschied von der Spitze

Die Neuausrichtung des Basler Instituts für Immunologie hat einen massiven Einbruch in der Schweizer Immunologie-Forschung zu Folge. Ist Immunologie tatsächlich nicht mehr so wichtig?

Mit Stolz verwiesen die Schweizer Immunologen auf die Zahlen des US-Instituts für wissenschaftliche Forschung: Dessen Zitaten-Index führt die Schweiz in der Immunologie regelmässig an vorderster Stelle an. Damit ist es jetzt vorbei.

Dabei war es nicht jenes Ereignis, vor welchem die Forscher noch vor zwei Jahren so eindringlich warnten, als sie auf die Ranglisten der Forschernationen verwiesen: Die Genschutz-Initiative, welche mit ihrem Verbot der transgenen Tiere den Immunologen ihr wichtigstes Modell weggenommen hätte, wurde vom Souverän deutlich bachab geschickt. Nein, der Entscheid eines Konzerns steht hinter diesem „dramatischen Einbruch für die Immunologie“, wie es Adriano Fontana von der klinischen Immunologie des Universitätsspitals Zürich ausdrückt.

Dieser Entscheid, der Anfang Juni vom Basler Pharmakonzern Roche bekannt gegeben wurde, betraf das Basler Institut für Immunologie (BII) und damit eines der renommiertesten Schweizer Forschungszentren. Die damalige Hoffmann-La Roche gründete das BII vor dreissig Jahren und liess den dortigen Forschern ein ausserordentliches Mass an Freiheit. Drei Nobelpreisträger brachte das Institut hervor und regelmässig wechselnde Gastwissenschaftler haben der Immunologie weltweit wichtige Impulse gegeben.

„Das BII hat seine wichtigste Aufgabe, die Immunologie als Wissenschaft voranzutreiben – erfolgreich erfüllt“, schrieb denn auch Roche in seiner Medienmitteilung. Nun wird die angewandte Genomik Hauptthema eines neuen Forschungsinstituts, das an Stelle des BII treten wird. In diesem Bereich erhofft sich Roche wichtigere Erkenntnisse mit einem unmittelbareren Bezug zur Praxis. Auch kann Roche – als Geldgeberin sicherlich mit gutem Recht – direkter ihre Bedürfnisse in die Forschung des neuen Instituts einbringen. Vom Standpunkt des Pharmakonzerns macht die Neuausrichtung also Sinn. Sie macht aber auch deutlich, das Grundlagenforschung in Immunologie für den Konzern offenbar nicht mehr als Schlüssel für neue Medikamente gilt. Ist Immunologie weniger wichtig geworden?

Die Erforschung des Immunsystems und dessen Fähigkeit, das Körpereigene zu schützen indem es das Fremde bekämpft, kann in der Tat beeindruckende Erfolge vorweisen. So weiss man heute, wie das Immunsystem des Menschen aufgrund eines eher beschränkten Satzes an genetischer Information die unglaubliche Vielfalt an Fremdstoffen – verschiedene Viren oder Bakterien beispielsweise, mit welchen ein Mensch im Verlauf seines Lebens in Kontakt kommt – erkennen und abwehren kann. Schwierige Probleme harren aber weiterhin einer Lösung.

Ein solches Rätsel nennt Beda Stadler, Professor am Institut für Immunologie und Allergologie in Bern: Autoimmunreaktionen. In solchen Fällen bekämpft das Immunsystem körpereigenes Gewebe. Multiple Sklerose und Rheuma sind Beispiele solcher Autoimmunreaktionen. Rolf Zinkernagel, Direktor des Instituts für experimentelle Immunologie der Universität Zürich, führt als weiteres ungelöstes Problem die unterschiedliche Wirkungsweise von Impfungen an: „Manche Impfungen schützen ein Leben lang, andere nur wenige Jahre und in wieder anderen Fällen funktioniert eine Impfung gar nicht. Wir wissen nicht, warum das so ist.“ Adriano Fontana bringt dieses Problem auf den Punkt „Das immunologische Gedächtnis ist für uns weiterhin eine ‚black box’“. Fontana nennt auch die ungelösten Probleme der Wechselwirkung von Immunsystem und Nervensystem. „Wie Stress auf das Immunsystem einwirkt, ist ein zentrales Problem, mit welchem sich bisher nur wenige gute Arbeiten befasst haben.“

Auch auf grundlegender Ebene tauchen Überraschungen auf. Stadler: „Erst kürzlich hat man entdeckt, dass die Spezifität der T-Zellen offenbar ganz anders funktioniert, als man bisher dachte.“ T-Zellen sind weisse Blutkörperchen, welche (unter anderem) Eindringlinge aufs Korn nehmen, die sich im Innern körpereigener Zellen einnisten – Viren beispielsweise. Sie unterteilen sich in die beiden Gruppen T-Helferzellen und T-Killerzellen, welche in einem subtilen Zusammenspiel infizierte, entartete oder körperfremde Zellen angreifen. Stadler spielt auf neue Ergebnisse der streitbaren Immunologin Polly Matzinger vom US-Nationalinstitut für Allergien und Infektionskrankheiten in Bethesda (US-Bundesstaat Maryland) an. Sie schlägt ein neues Modell zur Aktivierung der T-Killerzellen vor, welches der bisherigen Lehrmeinung widerspricht.

Schon dieser kurze Überblick macht deutlich, dass die Immunologie alles andere als eine abgeschlossene Wissenschaft ist, in welcher nur noch Detailprobleme einer Lösung harren. Das Bedauern über das Ende des BII ist denn auch gross. Stadler: „Damit steigt die Schweizer Immunologie weltweit ins Mittelfeld ab“. Und Zinkernagel doppelt nach: „Ich bedaure den Verlust. 70 bis 80 Prozent der immunologischen Forschung in der Schweiz fallen damit weg.“ Doch Zinkernagel sieht die Sache nicht nur negativ, eröffne doch die Neuausrichtung auf die Genomik dem Schweizer Forschungsplatz neue Chancen. Fontana seinerseits erhofft sich nun verstärkte Forschungsanstrengungen in der klinischen Immunologie, welche bisher im Schatten der Grundlagenforschung stand. Dafür müssten wohl nun die noch verbleibenden Zentren der immunologischen Forschung an den Universitäten Zürich, Genf, Lausanne und Bern sorgen. Die Universität Basel erhält zudem einen von Roche gestifteten Lehrstuhl für Immunologie.

Trotzdem dürfte das Ende des BII für die Schweizer Immunologie einen bitteren Einbruch bedeuten. Stadler bringt es auf den Punkt: „Wir waren extrem stolz. Jetzt sind wir traurig.“


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