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SAGW-Kolloquium 2003 - Facetten der Informationsgesellschaft

Das diesjährige Kolloquium der SAGW widmete sich den gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen, welche sich als Folge des Fortschritts der Informationstechnologie ergeben. Die verschiedenen Beiträge lieferten Konturen und kritische Rekonstruktion der „Wissensgesellschaft“.

Wirklich neu ist der Begriff der Informationsgesellschaft ja nicht. Andererseits ist es wohl sinnvoller, sich mit den damit verbundenen gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen erst nach der Phase der ersten Euphorie zu beschäftigen. Nur noch schemenhaft erscheinen uns heute die Versprechungen der 90er Jahre, wonach Internet und Telekommunikation Gesellschaft wie Wirtschaft grundlegend transformieren würden. Klar ist aber auch, dass die - zumindest technologisch beeindruckende - Entwicklung nicht ohne Auswirkungen bleiben wird. Unter dem Titel „Informationsgesellschaft - Geschichten und Wirklichkeit“ vereinigte das Kolloquium Fachleute aus Bereichen wie Soziologie, Publizistik, Informatik, Informationstechnologie, Geschichte, internationale Beziehungen, Ökonomie, Linguistik, Philosophie und Theologie.

Ein erster Blick auf das Thema offenbart eine Fülle von Problemen. Begrifflich-philosopisch stellt sich etwa die Frage nach der Bedeutung von „Wissen“ und „Information“. Die Soziologie wiederum interessiert sich für die möglichen sozialen Auswirkungen, welche die Nutzung der Informationstechnologie mit sich bringt. Aus quasi „raumzeitlicher“ Perspektive ist einerseits die historisch reflektierte Dynamik der Transformation von Interesse, andererseits stellt sich die drängende Frage, wie kulturelle Vielfalt sowie Entwicklungsunterschiede im Nord-Süd-Kontext durch den Fortschritt in der Informationstechnologie verstärkt bzw. vermindert werden. Die Ökonomie muss sich nach dem Abklingen der ersten „New Economy“-Euphorie der Frage stellen, welche relevanten Veränderungen sich im Wirtschaften durch die Informationstechnologie denn nun ergeben werden. Bezüglich der Anwendung der Technologie schliesslich ergeben sich interessante Möglichkeiten im Bereich der Didaktik, es stellen sich aber auch drängende ethische Fragen angesichts der Option, Entscheidungsprozesse zu automatisieren und die Überwachung zu perfektionieren.

Solche und andere Fragen wurden von den insgesamt 22 Referentinnen und Referenten aufgeworfen und haben teilweise zu engagierten Diskussionen geführt. Der Technikphilosoph Gerhard Banse etwa, herkommend von der Chemie, untersuchte kulturelle Implikationen der Informations- und Kommunikationstechnik. Sowohl in der Produktion wie in der Verteilung kultureller Werke (Bild, Text, Musik) sind weitreichende Veränderungen im Gang, welche beispielsweise die Arbeit der Kunstschaffenden erleichtern (Direktvertrieb), aber auch erschweren (Urheberrecht). Eine gern untersuchte Metapher der Soziologie ist die „Cyberworld“, wobei man sich hier aber oft der Gefahr aussetzt, zu viel in dieses Konzept hineinlesen zu wollen, ohne der gesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen. Als wohltuend wurden da Untersuchungen empfunden, welche mit umfangreichem empirischen Material einige der Mythen der Informationsgesellschaft relativierten. So untersuchte der Publizistikwissenschaftler Heinz Bonfadelli die Metapher des „digital divide“ und zeigte auf, dass die vier Dimensionen Zugang, Nutzungsintensität, Qualität und Nutzungskonsequenzen unterschieden werden müssen, um die Frage beantworten zu können, in welcher Hinsicht sich in der Informationsgesellschaft Wissensklüfte zwischen der Informationselite und den Nichtvernetzten auftun.

Aus der Nord-Süd-Perspektive ist eine solche Kluft schon allein aufgrund der Verbreitung der Technologie unübersehbar. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, wurden von einer Reihe von Beiträgen untersucht. Peter Mühlhäusler, der als Linguist in Australien arbeitet, weist auf den absehbaren Verlust der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in der Welt hin. Die Informationstechnologie kann zwar in den entwickelten Ländern einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung der Sprachenvielfalt liefern, in den Entwicklungsländern – Ort der grössten sprachlichen Vielfalt – ist aber von einem Sprachensterben in grossem Ausmass auszugehen, unterstützt durch die Verbreitung der Informationstechnologie. Maurice Tadadjeu und Pius Tamanji, zwei Linguisten aus Kamerun, zeichnen ein anderes Bild: Ihnen zu Folge dürfte insbesondere die Nutzung des Satellitenfernsehens in Afrika einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung dieser Länder liefern. Zentral sei dabei, dass diese sich afrikanischer Sprachen bedienen müssten – die Herausforderung besteht also darin, entsprechende Fachleute zu rekrutieren.

Ein für die Industrieländer wichtiges Element schliesslich wird die Transformation der (universitären) Lehre durch die neuen Technologien sein. Peter Stucki, Präsident der Leitungsgruppe des "Swiss Virtual Campus“ lieferte dazu einen Zwischenbericht der Aktivitäten in der Schweiz. In mehreren Universitäten sind derzeit schon in den Natur- wie in den Sozial- und Geisteswissenschaften einige Projekte „online“. Problematische Aspekte der Vernetzung von Informationsträgern erläuterte schliesslich Albert Kündig, Experte für technische Informatik und Mitglied des Leitungsausschusses von TA-SWISS, der Stelle für Technikfolgenabschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat. So werden einerseits Fortschritte wie das semantische Netz dazu führen, dass bisher unterschiedliche Datenbanken zusammengefasst werden können, was die Frage nach der Datensicherheit verschärfen wird. Indessen sind auch Entwicklungen zu erwarten, welche zur Delegation menschlicher Entscheidungen an autonome technische Systeme führen, was beispielsweise die Frage nach der Zurechnung von Verantwortung bei unerwünschten Funktionen der Systeme neu stellen dürfte.

Probleme, wie sie das 22. SAGW-Kolloquium im Zusammenhang mit der sog. Informationsgesellschaft aufgeworfen hat, finden in der aktuellen, von Fragen der „life sciences“ gefangenen ethischen Diskussion, noch kaum Beachtung.


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