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Gen-Medizin: Euphorie mit Hindernissen

Das rasant zunehmende Wissen über die Gene des Menschen lässt die Hoffnung keimen, dass neue Therapien für bisher als unheilbar geltende Krankheiten gefunden werden können. Im laufenden Abstimmungskampf wird diskutiert, inwieweit die Gen-Schutz-Initiative diese Hoffnungen schwinden lässt. Klar ist, dass die Forschung in bestimmten Bereichen verhindert wird. Die Initianten wollen damit erreichen, dass die Medizin neue Schwerpunkte setzt.

Grundsätzlich ist eins zu sagen: Theoretisch hat die Gentechnologie das Potential, eine vierte Revolution in der Medizin auszulösen - nach der Einführung von Hygiene-Standards, der Chirurgie unter Anästhesie und der Entwicklung von Antibiotika. Die genetische Komponente ist bei vielen Krankheiten heute nicht mehr wegdiskutierbar. Die moderne Genforschung hat Einblicke in deren Mechanismus erlaubt, von welchen die Wissenschaftler noch von wenigen Jahrzehnten kaum zu träumen wagten. Dies hat Auswirkungen auf praktisch alle Gebiete der Medizin: Die Diagnose von Krankheiten und Krankheitsanlagen erhält ungeahnte Möglichkeiten. Medikamente können sicherer hergestellt oder sogar neu entwickelt werden. Man hofft auch auf neue Therapie-Ansätze und sogar neue Möglichkeiten, „Ersatzteile“ für den Menschen bereitstellen zu können (vgl. mit Kasten).

Dieses grosse Potential gentechnischer Methoden begründete auch die euphorischen Hoffnungen, die man Ende der 80er Jahre in die Gen-Medizin - vor allem in die eigentliche Gentherapie - legte. Am 14. September 1990 kam es zur ersten derartigen Therapie der Geschichte: Dem Mädchen Ashanthi wurden in den USA gentechnisch veränderte weisse Blutkörperchen eingespritzt. Sie enthielten ein Gen, das bei Ashanthi defekt war. Diese seltene Erbkrankheit hatte zur Folge, dass sich Abfallstoffe im Körper des Mädchen ansammelten - Ashanthi wurde langsam vergiftet. Fünf Jahre später wurden die ersten Resultate präsentiert: Ashanthi ging es viel besser - doch war dies ein Erfolg der Gentherapie? Das darf zumindest bezweifelt werden, denn Ashanthi erhielt nebst den gentechnisch veränderten Blutkörperchen weiterhin die konventionelle Therapie verschrieben.

Zwei grosse Schwierigkeiten

Das Beispiel Ashanthi verdeutlich exemplarisch, dass die Gentherapie ihre erste Phase der Euphorie bereits hinter sich hat. Noch wurde kein Mensch nachgewiesenermassen mittels Gentherapie geheilt, der Beweis des therapeutischen Nutzens für dieses Methode steht also aus. Mitte der 90er Jahre erklärte denn auch der Direktor des US-Gesundheitsministeriums Harold Varmus ernüchternd, es sei an der Zeit, zurück in die Labors zu gehen und Grundlagenforschung zu betreiben.

Vor allem zwei Schwierigkeiten erwiesen sich als harte Brocken: Zum einen wurde zu Beginn der 90er Jahre die Entdeckung eines Gen-Defekts praktisch gleichgesetzt mit der Möglichkeit zur entsprechenden Therapie. Doch schon bei Krankheiten, die nur durch ein defektes Gen verursacht werden, muss die Funktionsweise des Gens zuvor genau abgeklärt werden - ein nicht zu unterschätzender Arbeitsaufwand. Dazu kommt, dass bei den weitaus meisten Krankheiten sehr viele Gene eine Rolle spielen. Das Abklären dieser Zusammenhänge ist hochkompliziert.

Die zweite Schwierigkeit liegt in der eigentlichen Durchführung der Gentherapie. Dies lässt sich am Beispiel der Cystische Fibrose erklären. Diese Erbkrankheit mit tödlichem Ausgang führt dazu, dass die Lungen der Betroffenen nach und nach mit klebrigem Schleim verstopft werden - langsames, qualvolles Ersticken ist die Folge. Verursacht wird Cystische Fibrose durch ein einziges defektes Gen. Theoretisch ist die Therapie deshalb einfach: Man muss lediglich bei den sogenannten Epithelzellen der Lunge (Jene Zellen, welche die Lunge innerlich auskleiden und den Schleim produzieren) das defekte Gen ersetzen. Das Problem liegt darin, die Zellen dazu zu bringen, das „reparierte Gen“ aufzunehmen und so in das restliche Erbut einzubauen, dass es die Funktion des defekten Gens übernehmen kann. Man kennt eine Reihe von Methoden, Gene in Zelle zu bringen, z.B. mit bestimmten gentechnisch veränderten Viren oder kleinsten Fettkügelchen (Liposome), welche das gesunde Gen umschliessen - der grosse Durchbruch steht aber noch aus. Dazu kommt das Problem, dass der „Gen-Transporteur“ die Zielzellen unbeschädigt erreichen muss, genügend Zellen umwandeln kann und zu keinen gravierenden Nebenwirkungen führen darf. Im Fall der Cystischen Fibrose müsste zudem die Behandlung regelmässig wiederholt werden, da sich die Epithelzellen dauernd erneuern und damit der Anteil der gentechnisch veränderten Zellen laufend abnimmt.

Das Schweizer Forschungsprogramm

Das Problem der „genetischen Komplexität“ der meisten wichtigen Krankheiten und die Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung der Gentherapie haben die Hoffnungen in die Gen-Medizin auf ein realistisches Mass zurückgeschraubt. Trotzdem wird weiter in diesem Bereich geforscht. Weltweit sind derzeit etwa 3000 Patienten in der klinisch-experimentellen Phase in Gentherapie-Versuche eingebunden.

In der Schweiz wurde 1994 das Nationale Forschungsprogramm 37 (NFP 37) „somatische Gentherapie“ ins Leben gerufen (somatisch bedeutet, dass lediglich Körperzellen gentechnisch verändert werden, nicht aber Samen- oder Eizellen). Aus gut 60 Projektskizzen wurden deren achzehn ausgewählt: acht beschäftigen sich mit Krebsforschung, drei mit Erb- und Stoffwechselkrankheiten, zwei mit klinischen Versuchen und sieben suchen nach einer Verbesserung des Methoden für die Übertragung von Genen in die Zelle. Der Schweizer Ansatz geht dabei einher mit der weltweiten Entwicklung: Weitaus die meisten Projekte sind der Grundlagenforschung zuzuordnen, erklärte Professor Sandro Rusconi, Direktor des NFP 37.

Schnelle Durchbrüche beim NFP 37 sind nicht zu erwarten. Die strikte Reglementierung bis zur Zulassung einer Therapie führt dazu, dass eine solche erst nach zehn bis 15 Jahren vorliegt. Zuerst muss einmal die „Therapie-Idee“ entwickelt werden. Dabei werden auch gentechnisch veränderte Tiere eingesetzt. In der klinischen Phase 1 wird dann getestet, welche Arten von Nebenwirkungen bei einer einzigen Dosis bei Menschen auftreten. In der Phase 2 wird der eigentliche therapeutische Effekt geprüft. Schliesslich wird in der Phase 3 per Doppelblindversuch geklärt, inwieweit die neue Therapie den konventionellen Therapien überlegen ist. Deshalb ist der Vorwurf, die Gentherapie habe noch keine Erfolge gezeigt, so nicht haltbar, denn die verschiedenen gentherapeutischen Ansätzen werden erst seit fünf, sechs Jahren massiv getestet, so Sandro Rusconi.

Die Bedeutung transgener Tiere

Welche Rolle in diesem Forschungsprozess spielen nun gentechnisch veränderte Tiere, die bei einer Annahme der Gen-Schutz-Initiative in der Schweiz verboten würden? Dazu ist zum Ersten festzuhalten, dass beinahe jedes Labor im biomedizinischen Forschungsbetrieb sich direkt oder indirekt solcher Tiere bedient; weltweit gibt es bereits über 10'000 transgene Tiermodelle (Quelle: NZZ, 6.11.1996). Meistens werden für die Versuche Fruchtfliegen (Drosophila) oder Mäuse verwendet. Zwei Varianten der Genveränderung werden eingesetzt: Zum einen werden artfremde Gene in einen Organismus eingeführt (das ergibt ein transgenes Tier), zum anderen werden einzelne Gene des Organismus „ausgeschaltet“. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse haben wesentlich zum heutigen Wissensstand in grundlegenden Bereichen der Biologie beigetragen. In der Entwicklungsbiologie beispielsweise haben Forschungen an der Universität Basel gezeigt, dass bestimmte Gene in verschiedensten Organismen vergleichbare Aufgaben übernehmen - die Lebewesen sind damit zumindest auf genetischer Ebene weit mehr verwandt, als die äussere Gestalt ahnen lässt.

Auf diesem in der Grundlagenforschung erworbenen Wissen beruht unter anderem auch die spezifisch medizinische Forschung. Die „genetische Ähnlichkeit“ der Organismen lassen die Forscher hoffen, dass die Untersuchung von Tiermodellen durchaus auch Rückschlüsse auf menschliche Krankheiten zulassen. Es gibt zwar auch Studien, die immer wieder auf die Grenzen der Tiermodelle hinweisen. Die Mehrzahl der wissenschaftler beharrt aber auf der Ansicht, dass bessere Modelle nicht vorhanden seien. Die oft gehörte Behauptung, noch sei kein Medikament mittels transgener Tiere entwickelt worden, widerspiegelt Unkenntnis über die Zusammenhänge in der Forschung. So beruht die Entwicklung von „klassischen“ Medikamenten durchaus auch auf Erkenntnissen, die in der Grundlagenforschung mittels transgenen Tieren entwickelt wurden. Ausserdem werden in naher Zukunft Medikamente auf den Markt kommen, die von transgenen Tieren sogar hergestellt werden.

Mehr Tierversuche?

Das Arbeiten mit Tiermodellen im Sinn und Geist der Gentechnologie ist übrigens keineswegs neu. In der Krebsforschung hat man vor der Gentechnik auf recht brachiale Weise „Krebsmäuse“ hergestellt, durch den Einsatz von Chemikalien oder Radioaktivität. Dabei wurden mehr Tiere „verbraucht“ als heute, wo nun mit der gentechnisch erzeugten „Krebsmaus“ ein Modell zur Verfügung steht, dass nicht jedesmal neu produziert werden muss. Insofern könnten transgene Tiere den Versuchstierverbrauch insgesamt vermindern. Andererseits muss gesagt werden, dass die Herstellung der transgenen Tiere wiederum mit der Produktion von „Abfalltieren“ einhergeht, denn die Genveränderung gelingt nur zu einem geringen Prozentsatz.

Diese „Abfalltiere“ sind aber nicht das eigentliche Problem, will man die Zahl der transgegen Versuchstiere abschätzen. Vielmehr kann man mit solchen Tieren in Bereichen forschen, die vorher nicht zugänglich waren. Die Hemmschwelle wird heruntergesetzt und es besteht die Gefahr, dass einfach „drauflosgeforscht“ wird, bemerkt auch Peter Mani, Inhaber der Stelle „Gentechnologie und Gesellschaft“ an der ETH Zürich. Dies zeigt sich auch in den Zahlen: Insgesamt werden zwar weniger Tierversuche durchgeführt, doch der Anteil transgener Tiere (vor allem Mäuse) steigt an. Mehr verbrauchte Mäuse, aber auch mehr Forschung ist denn auch das Fazit.

Eine neue Medizin?

Die Behauptung, ein Verbot transgener Tiere treffe die medizinische Forschung nur marginal, ist angesichts der heutigen Forschungspraxis schlicht nicht haltbar. Es ist denn auch diese Forschungspraxis, welche die Initianten imi Visier haben. Sie sehen im Verbot transgener Tiere und der damit verhinderten Forschung in diesem Bereich den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer sinnvollen Medizin, z.B. durch Betonung der Komplementärmedizin. Die Schweiz wäre dabei in der Rolle eines Vorreiters - nach der Sichtweise der Initiativgegner jedoch in jener des Aussenseiters.

Die Argumentation gegen transgene Tiere ist vor allem ethisch fundiert, da der Eingriff die Würde der Kreatur tief verletzte (vgl. dazu das BT vom 21. März). Dazu kommt das klassische Anti-Tierversuchts-Argument, Tiermodelle seien in der medizinischen Forschung sowieso nicht von Nutzen. Innerhalb der Forschung wird dabei durchaus diskutiert, wo die Grenzen der jeweils angewendeten Tiermodelle liegen. Die Mehrzahl der Forscher beharrren aber auf der Auffassung, dass Versuche mit gentechnisch veränderten Tieren nützliche Erkenntnisse für die Medizin liefern würden.

Zwei weitere Argumente richten sich generell gegen die Gen-Medizin: Zum einen wird kritisiert, dass sich der Blick der Medizin zu stark auf die Gene fixiert und andere krankmachende Faktoren vernachlässigt. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, dass die Gene an vielen Krankheiten eben auch eine Rolle spielen. Warum sollte man die Forschung dann derart radikal beschränken. Andererseits ist sich die Forschung gerade bei komplexen Krankheiten wie Krebs durchaus bewusst, dass etwa Umwelteinflüsse bei der Auslösung der Krankheit beteiligt sind. Warum sollte man dann gerade jenes Hilfsmittel - die transgenen Tiere - verbieten, dass eine ganzheitlichere Erforschung dieser Zusammenhänge ermöglicht? Das zweite Argument betrifft das Problem der Verteilgerechtigkeit: Ist es gerechtfertigt, sehr viel Geld für die Therapie von Krankheiten auszugeben, von welchen nur wenige betroffen sind, während in der Dritten Welt viele Menschen an bereits behandelbaren Krankheiten sterben, weil das Geld fehlt? Gerade dieser Kritikpunkt der Initianten ist bedenkenswert: Die Konzentration auf die gen-orientierte Forschung bindet Gelder, die an anderen Orten fehlen. Im öffentlichen Bereich sollte denn auch darauf geachtet werden, dass alternative Ansätze (z.B. die Erforschung natürlich vorkommender, pflanzlischer Heilmittel) Berücksichtigung finden.

Tatsache bleibt aber, dass das Verbot gentechnisch veränderter Tiere für die Entwicklung der Gen-Medizin in der Schweiz schwerwiegende Folgen haben wird. Beim NFP 37 hängen 16 der 18 Projekte von solchen Tieren ab. Die Annahme der Gen-Schutz-Initiative wäre demnach eine „lethale Katastrophe“, so Sandro Rusconi.


Gen-Medizin und die Initiative

Gentechnologie findet in der Medizin vielfältige Anwendungen, wobei manche längst etabliert, andere noch Zukunftsmusik sind. Die Gen-Schutz-Initiative hat vor allem durch das Verbot gentechnisch veränderter Tiere Auswirkungen auf einige dieser Anwendungen. Für die erlaubten Anwendungen der Gentechnologie wird eine Bewilligungspflicht und eine Beweislastumkehr verlangt, d.h. ein Gesuchsteller muss Nutzen, Sicherheit, Verantwortbarkeit und das Fehlen von Alternativen aufzeigen. Auch diese Forderung wird Auswirkungen haben. Umstritten ist schliesslich, inwieweit das Freisetzungsverbot gewisse Formen der Gentherapie tangiert.


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