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Angst und Drogen im Zeitalter der Hirnforschung

Die neurobiologische Erklärung elementarer Emotionen wie Angst bietet Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Medikamente für die Behandlung komplexer Krankheiten. Diese Entwicklung kann aber auch zu einer Veränderung unserer Vorstellungen von Gesundheit führen und eine vermeintliche „pharmakologische Fluchtperspektive“eröffnen – so die Einschätzung von Hanns Möhler. Im Gespräch mit „Bioworld“ erläutert der Neuropharmakologe und Emotionsforscher Entwicklungen und neue Herausforderung der neurowissenschaftlichen Erkundung unseres Gefühlslebens.

Sie wissen viel über die neurobiologischen Grundlagen der Angst. Haben Sie selbst deshalb weniger Angst?

Emotionen sind ungelernte stereotype Reaktionen, die uns helfen, das Leben zu bewältigen. Die entsprechenden neuronalen Signaturen wurden uns von der Evolution mitgegeben. Emotionen entstehen häufig unbewusst, so dass sie sich durch rationales Wissen kaum ändern lassen. Angst beispielsweise tritt auf, bevor das Ereignis das Bewusstsein erreicht hat – in lebensgefährlichen Situationen könnte es sonst zu spät sein. Insofern ändert das Wissen über die Mechanismen der Angst nichts am eigenen Erleben der Angst.

Was ist der Sinn von Angst?

Angst ist eine normale angeborene Reaktion entweder auf eine Bedrohung – der eigenen Person, der eigenen Einstellung oder Selbstachtung – oder auf die Abwesenheit von Menschen oder Dingen, die Sicherheit gewähren oder bedeuten. Die lähmende Angst ist eine existentielle Erfahrung von der z.B. die Bilder von Eduard Munck "Der Schrei" oder "Angst" Zeugnis ablegen. Neben der lähmenden Angst können wir jedoch auch sehr dynamisch reagieren, um das herannahende Unheil, beispielsweise im Strassenverkehr, zu vermeiden. Angst kann auch in Aggressivität umschlagen, um sich der Bedrohung zu erwehren. Sie kann also in verschiedenen Reaktionsmustern zum Ausdruck kommen.

Kann man zwischen diesen Reaktionstypen wählen?

Es ist keine Wahl im Sinn eines rationalen Abwägens, aber eine situationsgerechte Reaktion. Wenn ein Tier in einer Gefahrsituation einen Fluchtweg erkennt, wird es den Fluchtweg wählen. Wenn dieser versperrt ist, wird dies eher zu Aggressivität führen. Falls weder Flucht möglich noch ein Aggressor erkennbar ist, beschränkt sich Reaktion häufig auf die Schreckstarre.

Es gibt aber ein breites Spektrum der menschlichen Phänomenologie der Angst – von Todesangst über Angstphobien bis zu Angst als ein Lebensgefühl. Wird dieses Spektrum nur von einem neuronalen Mechanismus gesteuert?

Der Mensch ist nicht nur zugänglich für die Angst vor akuten Gefahren sondern auch für die intellektuell gerechtfertigten existentiellen Ängste. In der komplexen Architektur des Gehirns sind bei Angstreaktionen verschiedene Hirnareale betroffen. Die Angstvermittlung verläuft jedoch bei plötzlichem Erschrecken anders als bei der Angst als Lebensgefühl. Die Aktivierung der Amygdala scheint jedoch bei den meisten Angstformen beteiligt zu sein.

In einer Welt, in der das Menschenbild über das Freiheitsbewusstsein beschrieben wird, hat Angst etwas besonders bedrohliches, gerät sie doch mit diesem Bild des Menschen in Konflikt. Insofern besteht die Tendenz, Angst als etwas Krankhaftes anzusehen – doch ab wann ist Angst wirklich pathologisch?

Mit der Rolle der Angst im Menschenbild hat sich vor allem der Religionsphilosoph Kierkegaard beschäftigt. Er beschreibt die Angst als die andere Seite der Medaille der Freiheit. Die Wahlfreiheit des Menschen, sich zwischen Gut und Böse entscheiden zu können, sei untrennbar verbunden mit einem Unsicherheitsfaktor, einer Existenzangst welche sich letztlich aus dem Bewusstsein des Todes herleitet. Die Angst wird dann pathologisch, wenn sie mit dem normalen Leben nicht mehr vereinbar ist. Dies kann die Selbstwahrnehmung betreffen, die Ausübung des Berufs oder das Leben in der Familie. Dabei tritt die Angst in verschiedenen pathologischen Ausprägungen auf wie z.B. die generalisierte Unfähigkeit zur ausgewogenen Einschätzung einer Lebenssituation, das Auftreten von Panik-Attacken mit Todesängsten ohne jeglichen erkennbaren Grund, Phobien als fokussierte Ängste oder Angststörungen in Verbindung mit einer Depression.

Man kennt die neuronalen Mechanismen der Angst bereits recht gut. Spricht dies dafür, solche Störungen primär mittels Psychopharmaka zu begegnen?

Mit dem Beginn der Psychopharmakologie vor etwa 50 Jahren standen zum ersten Mal wirksame Behandlungsmethoden für die wichtigsten Geisteskrankheiten zur Verfügung. Inzwischen steht eine neue Generation von Psychopharmaka zur Verfügung, die den Grundpfeiler der Behandlung psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie darstellt. Neben der Pharmakotherapie spielt die Psychotherapie eine begleitende Rolle, da ein Teil der Ursachen psychischer Erkrankungen mit der eigenen Biographie verbunden sein kann. Traumata in der Kindheit erhöhen z.B. das Risiko, an Depression und Angststörungen zu erkranken. Diesen individuellen Hintergrund im eigenen Erleben muss man auf einer anderen Ebene angehen als mit Psychopharmaka - beispielsweise mit einer kognitiven Therapie. Häufig ist eine Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie hilfreich.

Doch wie steht es mit dem kulturellen Hintergrund von psychiatrischen Krankheitsbildern?

Die Definition psychiatrischer Erkrankungen wechselt mit dem kulturellen und dem wissenschaftlichen Umfeld. Bis in die 1970er Jahre wurden psychische Erkrankungen eingeteilt in "organische" und "funktionelle", wobei die ersteren mit groben anatomischen Abnormalitäten verbunden waren, während psychische Krankheiten ohne anatomisch erkennbaren Abnormalitäten als "funktionell" galten. Die heutige Klassifikation von Geistesstörungen versucht diese Trennung zu überwinden und eine Psychopathologie auf der Grundlage biologischer Mechanismen geistiger Prozesse zu entwickeln. Veränderungen in der Wirksamkeit neuronaler Verbindungen ("psychische Läsionen") werden vermehrt zur Erklärung herangezogen. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass das Ausmass von Angststörungen auch durch die soziokulturelle Umgebung geprägt wird. Das durchschnittliche amerikanische Kind in den 1980er Jahren berichtete über mehr Angst als Kinder, die in den 1950er Jahren in psychiatrischer Behandlung waren. Diese Entwicklung korrelierte mit sozialen Indikationen wie Scheidungsraten, Verbrechen etc. während ökonomische Faktoren eher vernachlässigbar waren.

Die Erforschung der Angst ist ein Ausdruck der Renaissance der Emotionen in der Hirnforschung. Wie kam es dazu?

Traditionell hatten sich die Neurowissenschaften auf die neuronalen Grundlagen kognitiver Prozesse konzentriert. Es ging um sensorische Wahrnehmung und die Gedächtnisbildung. Als klar wurde, dass die kognitiven Fähigkeiten von den Emotionen mitbestimmt werden, setzte eine Richtungsänderung der Forschung ein. Auch aus den psychologischen und soziologischen Wissenschaften – denken Sie etwa an den Begriff der emotionalen Intelligenz – erschallte der Ruf nach einem Einbezug der Emotionen. Neurobiologisch ist Emotions-Forschung hoch spannend, weil Emotionen nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen. Sie lenken die Aufmerksamkeit, machen Wahrnehmungen bewusst und beeinflussen sowohl kognitive Prozesse wie die Entscheidungsfindungen.

Im Rahmen des „neural enhancement“ verspricht man sich eine positive Beeinflussung der Emotionen durch entsprechende Medikamente. Wie beurteilen Sie dieses Projekt?

"Neural enhancement" ist der Versuch, mit chemischen Mitteln ein grösstmögliches Bewusstsein zu erreichen. Es geht nicht um die Therapie kranker Menschen sondern um die chemisch moderierte Persönlichkeit. "Hirndoping" wirft ethische Fragen auf. Es wird ein Menschenbild propagiert, wonach die Befindlichkeit und die soziale Verträglichkeit mit Drogen hergestellt werden – die Gesellschaft als chemisches Labor. In der Nachfolge der Versuche von Aldous Huxley mit Meskalin und Timothy Leary mit LSD im letzten Jahrhundert, ist heute beispielsweise Prozac als "happy pill" etabliert. Die Fluchtperspektive der pharmakologischen Fitness wird besonders problematisch bei Kindern. Mit der dramatisch zunehmenden Verschreibung von Ritalin werden Kinder schon bei leichter Hyperaktivität und Konzentrationsschwäche ausserhalb des Normalen gestellt und für krank und therapiebedürftig erklärt.

Wie beurteilen Sie die Bedeutung der Drogenforschung für die Hirnforschung?

Die Drogenforschung hat die Hirnforschung extrem bereichert. Die Aufklärung des Mechanismus der Drogenwirkung hat vor allem Hinweise auf endogene Modulatoren erbracht. Berühmte Beispiele sind die Opiate und das Marihuana. Das Gehirn produziert nicht nur seine eigenen Opioide sondern auch sein eigenes Marihuana. In beiden Fällen wurden, ausgehend von einer Droge, neue chemische Signale und Funktionsweisen des Gehirns entdeckt. Besonders die Entdeckung von Cannabinoiden im Gehirn beflügelte die Phantasie. Das von P. Mechoulam zuerst entdeckte endogene Cannabionoid wurde nach dem Sanskrit-Wort für Glück (Ananda) als Anandamid bezeichnet. Die Cannabinoide eröffneten auch neue therapeutische Perspektiven z.B. zur Schmerzlinderung bei Patienten mit Multipler Sklerose und zur Appetitreduktion bei Übergewicht.

Philosophen wie der Deutsche Thomas Metzinger behaupten, die Neurowissenschaft könne dereinst sehr potente Drogen entwickeln, so dass „neue“ Bewusstseinszustände erreicht werden könnten. Wie beurteilen Sie diese Möglichkeit?

Mir ist nicht klar, woher Thomas Metzinger diesen Optimismus nimmt. Bisherige Versuche mit Drogen sind ja nicht besonders ermutigend. Selbst wenn es gelingen würde, wäre es empfehlenswert? Neben dem chemischen Weg besitzt die Spiritualität und die Meditation als Zugang zu neuen Zuständen des Bewusstseins eine lange kulturelle Tradition, besonders in Glaubensgemeinschaften. Ein tiefer meditativer Zustand spiegelt sich in veränderten Hirnfunktionen. Bei buddhistischen Mönchen mit lebenslanger meditativer Praxis wurde im Zustand der tiefen Meditation eine Verstärkung der Gamma-Wellen des EEG in einem Ausmass registriert, wie es bisher unbekannt war. Dies würde bedeuten, dass neue Bewusstseinszustände nicht nur erlernbar sind sondern sich durch eine eigene neuronale Signaturen zu erkennen geben.

Wenn nun selbst meditierende Mönche Gegenstand der Hirnforschung geworden sind: sehen Sie eine absolute Erkenntnisschranke in der Hirnforschung?

Grundsätzlich besteht die Frage, ob das Gehirn als ein kognitives System überhaupt in der Lage ist, über sich selbst so nachzudenken, dass die eigene Funktionsweise vollständig aufklärbar ist.

Zur Person: Hanns Möhler ist emeritierter Professor an der ETH Zürich (Departement für Chemie und angewandte Biowissenschaften) sowie an der Universität Zürich (ehemaliger Direktor des Instituts für Pharmakologie). Derzeit ist er Fellow am Collegium Helvetikum der ETH und Universität Zürich und Vizedirektor des Schweizerischen Nationalen Zentrums für Neuowissenschaften (NCCR). Möhler ist der Entdecker der Benzodiazepin-Rezeptoren, den Andockstellen von Medikamenten wie Valium, und leistete mit seiner Forschungsgruppe entscheidende Beiträge für die Erforschung der neurobiologischen Grundlage der Angstreaktion und der Kontrolle des Gedächtnisses.


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